Das SOFI im Jahr 2015

Forschungsprofil ‑ Von inhaltlicher Stabilität und thematischer Innovation

Im Forschungsprofil und in den Projektarbeiten des Jahres 2015 treten die Konturen der SOFI-Forschung markant hervor. So wurden in 2015 Fragen des Arbeitsbewusstseins und der Arbeitspolitik in einer Reihe von Forschungsvorhaben bearbeitet. Ein besonderes Augenmerk richtete sich in diesen Projekten auf Fragen der subjektiven Erwartungen an Arbeit und Betrieb, aber auch auf die Formulierung von Gerechtigkeitsansprüchen. Dabei werden keine Einzelkämpfer/innen sichtbar, sondern Arbeitnehmer/innen mit rationalen Arbeitshaltungen und Normalitätsbedürfnissen, die auf betriebliche Kooperation setzen. Kollektivität ist aus der Arbeitswelt keineswegs verschwunden. Die SOFI-Bildungsforschung fand in vielgestaltigen Projekten ihre Fortsetzung und sie akzentuierte die hohe Bedeutung der Berufsbildung. Überdies stärkt die langjährige Einbindung des SOFI in die Bildungsberichterstattung den zeitdiagnostischen Charakter dieser Forschungslinie. Zum Forschungsprofil zählen zudem Projekte, die die sozialstrukturelle Entwicklung des Wohlfahrtsstaates in den Blick nehmen. Die Forschungsergebnisse betonen die hohe Bedeutung der institutionellen Gestaltung der Arbeitswelt. Auch prekäre Arbeitsmärkte sind keine unstrukturierten Märkte. Schließlich: Die sukzessive Aufarbeitung der Archivbestände des Instituts konnte zeigen, wieviel Vergangenheit in der Gegenwart unserer Arbeitswelt steckt. 
 
In der Forschungsarbeit sowie in den publizistischen und akquisebezogenen Aktivitäten des Instituts kamen 2015 neue Fragestellungen hinzu, die den vorhandenen Forschungslinien neue Akzente und Impulse gaben. Einmal mehr wird vor diesem Hintergrund deutlich, dass das Institut den Wandel von Arbeit und Gesellschaft sowie die damit verknüpften gesellschaftsdiagnostischen Herausforderungen nicht ignoriert oder sich darauf begrenzt, monothematisch Forschungsfelder abzuarbeiten. Das Gegenteil ist der Fall. Um ein wissenschaftlich vitaler Ort zu bleiben, öffnet sich das Institut den Fragen der Zeit - und es packt mit den Mitteln der empirischen Sozialforschung die Herausforderungen an, die die Zeitläufte stellen.
 

  • Zu diesen Herausforderungen zählt die arbeitssoziologisch und gesellschaftspolitisch hoch relevante Frage nach den Folgen der Digitalisierung der Arbeitswelt. Industrie 4.0, die smarte Fabrik und die Vernetzung von Produktionssystemen sind Stichworte, die in der industriellen Fertigung und im mittelständischen Handwerksbetrieb diskutiert werden. Der soziologischen Arbeitsforschung kommt im Rahmen der Digitalisierungsdebatte eine wichtige Rolle zu, denn es geht um die Gestaltung neuer Technologien. 
  • Zu den Fragen der Zeit zählen auch die veränderten Anforderungen an die Bewirtschaftung öffentlicher Güter. Nicht nur in den Diskussionen um die Zukunft ländlicher Räume, sondern ebenso mit Blick auf die künftige Gestaltung einer demokratischen Gesellschaft, die sich um die Gleichwertigkeit ihrer Lebensverhältnisse sorgt, kommen Fragen nach öffentlichen Gütern - ihrer Qualität und Quantität - ins Spiel. Ein verstärkender Faktor ist die demografische Entwicklung, die sich wiederum in den betrieblichen und erwerbsarbeitsbezogenen Wirklichkeiten niederschlägt. Hier schließt sich der Forschungskreis zu Arbeitsbewusstsein und Arbeitspolitik. Es ist jedenfalls klar, dass diejenigen mehr Aufmerksamkeit bedürfen, die mit der Herstellung öffentlicher Güter befasst sind. Und aus guter arbeitssoziologischer Perspektive können wir davon ausgehen, dass die Qualität der Arbeitsbedingungen mit der Qualität der hergestellten Produkte in unmittelbarem Zusammenhang steht.
  • Eine weitere gesellschaftliche Herausforderung, die in den Diskussionen und Antragstellungen des Instituts im Jahre 2015 eine wichtige Rolle gespielt haben, waren die Fragen nach den sozialstrukturellen und arbeitsmarktbezogenen Folgewirkungen von Migration und Flucht. Die Themenfelder Arbeitsmarkt und Migration sowie Betrieb und Demografie sind schon seit längerem Forschungsgegenstände im SOFI. Insofern konnte das Institut rasch auf Nachfragen aus Politik und Verwaltung reagieren und Forschungsanträge auf den Weg bringen. 

Mit neuen Themen verbinden sich auch veränderte thematische Ansprüche. Hier war in 2015 eine Arbeitsgruppe im Institut aktiv, die kritisch beleuchtet, in welcher Weise in den Projekten methodisch innovativ und kreativ Fragestellungen bearbeitet werden. Denn der gesellschaftliche Orientierungs- und Gestaltungsbedarf wächst. Das ist für das Institut nicht nur eine thematisch-inhaltliche Herausforderung, sondern ebenso eine methodisch-konzeptionelle. Dass sich das Institut veränderter sozialwissenschaftlicher und zeitdiagnostischer Ansprüche annimmt, wurde in 2015 sowohl an den Schwerpunktsetzungen der Institutszeitschrift „Mitteilungen aus dem SOFI“ als auch an der Jahrestagung des Instituts deutlich, die unter dem Titel und der Fragestellung stand: „Was bewegt Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer? Arbeitsbewusstsein und Gesellschaftsbild revisited“. 
 
In den „Mitteilungen“ kamen zwei Themen zur Sprache, die in der öffentlichen Diskussion 2015 eine große Rolle spielten. Unter der Überschrift „Zäsuren in der Berufsbildung“ wurde aus der Perspektive der SOFI-Berufsbildungsforschung ein Wendepunkt in der deutschen Bildungsgeschichte festgehalten: Der Gleichstand zwischen Studienanfängern und Zugängen in die duale Berufsbildung. Das Institut verfügt über eine langjährige Tradition empirischer Studien zur Berufsbildung und konnte in der aktuellen Debatte zur Frage der Akademisierung der Arbeitswelt erneut substantielle Forschung vorlegen. Der diagnostische Ertrag dieser Forschung liegt auf der Hand: Mit der Frage nach der Berufsbildung sind zugleich Aspekte des Wandels der Sozialstrukturen und der beruflichen wie sozialen Mentalitäten angesprochen. Bildung ist von besonderem öffentlichem Interesse und genießt insbesondere in den aufstiegsorientierten Mittelschichten hohen strategischen Stellenwert. 
 
Ein weiterer Schwerpunkt war der Wandel der Erwerbsarbeit in Zeiten der intensiven Debatte um die Relevanz und die Perspektiven von „Industrie 4.0“. Das Themenheft der „Mitteilungen aus dem SOFI“ setzt sich mit dem arbeitspolitischen Gestaltungsbedarf der Digitalisierung in der Industrie auseinander und fand große Resonanz. Diese Resonanz hat gute Gründe: Denn hinter dem Thema Digitalisierung steht die ernsthafte gesellschaftliche Sorge, in welcher Weise wir technologische Prozesse und Dynamiken gestalten können, um gesellschaftlichen Zusammenhalt möglich zu machen - und mit welchen neuen sozialen Fragmentierungen wir rechnen müssen. Das SOFI hat als arbeits- und industriesoziologisches Institut seit den späten 1960er Jahren diese technologischen Herausforderungen von Betrieb und Gesellschaft immer wieder aufgegriffen. Die aktuelle Digitalisierungsdebatte, die mit wissenschaftlichem Gestaltungsanspruch auftritt, fordert das Institut heraus. In einer Gesellschaft, die sich aufgrund technologischer, demografischer und sozialer Entwicklungen ihrer Institutionen nicht mehr sicher sein kann, kommt die arbeitssoziologische Expertise neu ins Spiel. Das ist echte Chance für und hoher Anspruch an das Institut.  
 
Die Jahrestagung 2015 stand unter der Überschrift „Was bewegt Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer?“. Erwerbsarbeit und Arbeitsprozess galten über Jahrzehnte als die Triebfedern gesellschaftlichen Wandels und als Orte vorwärtsweisender Gesellschaftskritik. Doch gilt das heute noch gleichermaßen? In Fachvorträgen, die sich mit Arbeitsbewusstsein in Industrie und Dienstleistungsökonomie auseinandersetzten, die das Ungerechtigkeitsempfinden in Arbeit und Betrieb thematisierten, die Ungleichheitserfahrungen und Interessenorientierungen in der Arbeitswelt zur Sprache brachten, wurde diese Frage geprüft. Die Tagung nahm ausgehend von dem Projekt „Brüchige Legitimationen - neue Handlungsorientierungen? Gerechtigkeitsansprüche und Interessenorientierungen in Arbeit und Betrieb vor dem Hintergrund von Krisenerfahrungen“ die Tradition der arbeits- und industriesoziologischen Bewusstseinsforschung wieder auf. Die Tagung fand im März 2015 in Kooperation mit dem Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) München in Göttingen statt und wurde von der Hans-Böckler-Stiftung unterstützt.

 

 

Forschungsentwicklungen - Von neuen Sichtbarkeiten und internationaler Kooperation

Zur Sichtbarkeit des Instituts sowohl in der Fachöffentlichkeit als auch in den unterschiedlichen lokalen und überregionalen Medien tragen neben den „Mitteilungen aus dem SOFI“ die Jahrestagung „Work in Progress“ sowie eine Reihe weiterer Institutsaktivitäten bei. Im Jahr 2015 wurden hierfür wichtige Weichenstellungen vorgenommen. Zu diesen Weichenstellungen, die eine neue Sichtbarkeit des SOFI gewährleisten, zählt die Neugestaltung der Website und seit Oktober 2015 die Einrichtung einer Stelle für Kommunikation und Koordination, die der Öffentlichkeitsarbeit des Instituts ein stärkeres Gewicht gibt. 
 
Zur öffentlichen Sichtbarkeit trägt weiterhin bei, dass sich das Institut im Jahr 2015 stärker als in den Jahren zuvor, als regional präsentes und leistungsstarkes Forschungsinstitut positionieren konnte. Das SOFI entwickelt seit dem Berichtsjahr ausdrücklich eine auf die Region bezogene Forschungslinie. Mitarbeiter/innen des Instituts wirken an kommunalen, lokalen bzw. regionalen Forschungsverbünden zur Stadtentwicklung Göttingens mit, sie kooperieren mit dem Landkreis Göttingen und regionalen Bildungsträgern in Fragen der Dorfentwicklung Südniedersachsens und stehen in Austausch mit dem Amt für regionale Landesentwicklung Braunschweig. Das SOFI war in lokale Veranstaltungen zur Digitalisierung der mittelständischen Wirtschaft oder zum demografischen Wandel in Südniedersachsen eingebunden, zudem wurde die Forschungsarbeit des Instituts gegenüber dem Landesbeauftragten zur Regionalentwicklung präsentiert.
 
Die fachwissenschaftliche Sichtbarkeit wird schließlich durch die verstärkte Einbindung in Forschungsverbünde gesichert und durch eine Reihe von Aktivitäten, die auf die Etablierung neuer Forschungsinfrastrukturen zielen. Ein interessantes Kooperationsprojekt, das im Jahr 2015 gestartet ist, ist das EU geförderte Vorhaben Re-InVEST („Rebuilding an Inclusive, Value‐based Europe of Solidarity and Trust through Social Investments“). Dieses Projekt setzt die in den 1990er Jahren gestartete SOFI-Forschung zu den sozialstrukturellen und individuellen Folgen von Arbeitslosigkeit und prekärer Beschäftigung fort. An dem Verbundforschungsprojekt wirken insgesamt 19 Partner aus zwölf europäischen Ländern mit. Ziel des Projekts Re-InVEST ist es, die theoretischen und empirischen Grundlagen des Sozialinvestitionspakets der Europäischen Kommission zu prüfen. Das SOFI-Projekt arbeitet mit qualitativen und quantitativen Methoden. Der qualitative Teil der Studie richtet sich auf   
 
Fragen der Erfahrung sozialer Verwundbarkeit prekärer, sozialpolitikbedürftiger Gruppen. Im ländervergleichenden quantitativen Teil untersucht das SOFI die Wirkung nationaler Politiken auf individuelle Ergebnisse in Bezug auf Beschäftigung, Arbeitsbedingungen und soziale Sicherheit.
 
Mit Blick auf die Forschungsentwicklung des Instituts zeigt sich daher, dass wir es im Berichtsjahr gleichermaßen mit einer verstärkten Regionalisierung der Forschungslinien zu tun haben, indem Fragestellungen in Kooperation mit Verwaltung, bürgerschaftlichen Initiativen und regionalen Unternehmen dezidiert auf ihren lokalen und kommunalen Anwendungsbezug hin geprüft werden. Auf der anderen Seite wird auch die Internationalisierung der SOFI-Forschung erfolgreich weiter geführt - u. a. mit Blick auf Projekte zu Migration und zur Wirkkraft internationaler Arbeitsmärkte.