Projektinhalt

Unternehmen aus so genannten Hochlohnländern wie Deutschland nutzen seit den 1990ern forciert Standorte in Niedriglohnländern wie Brasilien, Indien oder China vor allem für industrielle Produktionsaktivitäten. Welche Effekte hat das für Produktionsstandorte in Deutschland und anderen Hochlohnländern? Vielfach scheint es, als sei die Erosion der Fertigungsbasis führender Industrieländer kaum abwendbar, seit Niedriglohnregionen als Produktionsstandorte leichter zugänglich und in globale Produktions- und Innovationsnetzwerke integrierbar geworden sind. Als bedroht gelten nicht nur arbeitsintensive Fertigungen von Standardprodukten, sondern zunehmend auch qualifikatorisch und technologisch anspruchsvolle High-Tech-Fertigungen. Die Entwicklung folgt, so scheint es, dem Muster der PC-Industrie mit gleichermaßen stark modularisierten Produkt-, Produktions- und Branchenstrukturen, die eine weitreichende globale Entkopplung von Wertschöpfungsketten nach sich ziehen. In elektronischen Konsumgüterindustrien sei dieses Muster prägend, in anderen Branchen auf dem Vormarsch.
Das Projekt untersuchte die Architektur von Wertschöpfungsketten und deren Veränderungsdynamik bei europäischen Herstellern von High-Tech-Elektronik. Dabei waren folgende Fragestellungen zur Organisation, Geographie und Governance von Wertschöpfungsketten untersuchungsleitend. Wie weit organisieren die Unternehmen ihre Produktions- und Innovationsaktivitäten “in-house”; wie ausgeprägt ist das „Outsourcing“ an Kontraktfertiger? Wie weit bündeln sie ihre Aktivitäten (und die relevanter Zulieferer) an Heimatstandorten (ggfs. räumlich agglomeriert); wie weit werden sie durch „Offshoring“ räumlich entkoppelt? Wie integrieren und steuern die Unternehmen geographisch fragmentierte Wertschöpfungsketten? Wie gestalten sie ihre Kooperations- und Kommunikationsbeziehungen über funktionale, Unternehmens- und nationale Grenzen hinweg? Wo liegen Ansatzpunkte für hiesige Träger der Mitbestimmung, um den Profil- und Funktionswandel im Interesse der Beschäftigten zu gestalten? 
Das Projekt ging diesen Fragen an der Entwicklung der Handy-Industrie nach, einer von hohem Verlagerungsdruck und Standortkonflikten geprägten Branche. In dieser Branche hatten europäische Hersteller und europäische Standorte traditionell starkes Gewicht. Das Projekt rekonstruierte (mittels Literaturrecherchen, Dokumentenanalyse und qualitativen Interviews) die Entstehung und den Durchbruch der (digitalen) Handy-Industrie zu einer globalen consumer-Branche in den 1990ern und analysierte den Umbruch von Marktstrategien und Geschäftsmodellen nach der Jahrtausendwende. Mit Hilfe intensiver Fallstudien bei großen Herstellern (und ausgewählten Zulieferern) untersuchte es die Entwicklung von Produktions- und Innovationsmodellen nach dem Umbruch. Schwerpunkt war dabei die Erfassung der Veränderung von organisationaler und geographischer Struktur der Wertschöpfungsketten und ihrer Governance.
Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass Handyhersteller große Teile der Wertschöpfung an Zulieferer outgesourct haben. Systementwicklung und -montage aber erfolgen typischerweise „in-house“, „wintelistische“ (fertigungslose) Unternehmensstrukturen sind die Ausnahme. In geographischer Hinsicht organisieren Endhersteller ihre Aktivitäten zunehmend als globale Netzwerke. Sie haben seit den späten 1990er Jahren zunehmend Produktionswerke an Niedriglohnstandorten aufgebaut und schließlich die Serienfertigung weitgehend dorthin verlagert.
Die Governance dieser Netzwerke folgt allerdings nicht dem modularen Muster. Vielmehr entstehen Wertschöpfungsketten mit starken Interdependenzen über große räumliche und kulturelle Distanzen hinweg. Ein Weg zu ihrer schnellen und sicheren Integration liegt im Umbau von Hochlohnstandorten zu „Innovationszentren“ mit einem Aufgabenspektrum an der Schnittstelle von Innovation und Produktion. Die Siemens Handy-Sparte scheitert u.a. an dieser Transformation ihres Produktions- und Innovationssystems.
Über die Branche hinaus, dies legen die Befunde nahe, können Hochlohnstandorte über einen Funktions- und Profilwandel zu „Innovationszentren“ neue Perspektiven in globalen, überwiegend nicht modularen Netzwerken gewinnen.