Kompetenzentwicklung in deutschen Unternehmen: Formen, Voraussetzungen und Veränderungsdynamik
Projektinhalt
Die Entstehung und Nutzung ihrer Wissens- und Kompetenzpotentiale wird für die Industrie- und Dienstleistungsunternehmen immer wichtiger. Die beschleunigte Innovationsdynamik, die gestiegene Volatilität der Märkte, erhöhte Ansprüche von Kunden sowie der umfassende Einsatz von IuK-Technologie stellen sie vor neue Herausforderungen. Auch wenn in Wissenschaft und Praxis schon lange weitgehend Einigkeit darüber bestand, dass die Aktivierung und Entwicklung der Humanressourcen zur entscheidenden Größe für das Bestehen am Markt geworden ist, blieb doch unklar, wie eine solche Aktivierung und Verbesserung in den Unternehmen am erfolgreichsten betrieben werden kann.
Im Zentrum des Projekts stand daher die Frage, welche Konzepte und Formen der Kompetenzentwicklung und des Wissensmanagements heute in Betrieben praktiziert werden, wie individuelle und organisationale, formelle und informelle Lernprozesse zusammenwirken und wie das Verhältnis von Innovation, Arbeitsorganisation und Lernorganisation aussieht: Zu welchen Veränderungen in den Kooperations- und Kommunikationsbeziehungen ist es gekommen und wie haben sich die Anforderungsprofile verändert? Der Fokus der Untersuchung war damit nicht nur auf die fachlichen, sondern vor allem auch auf die sozial-kommunikativen und methodischen Anforderungen, also die „soft skills“ gerichtet, die in der Regel nicht in formalisierten Lernprozessen vermittelbar sind, sondern im Prozess der Arbeit selbst erworben werden. Welche Anforderungen entstehen im Einzelnen und welche Probleme resultieren daraus für die Betriebe?
Das Untersuchungssample war so konstruiert, dass der Einfluss von unterschiedlichen Marktkonstellationen und Differenzen in den betrieblichen Organisationsformen und Ressourcen mit Hilfe von Betriebsfallstudien überprüft werden konnten. Einbezogen wurden die Branchen Automobilindustrie, Maschinenbau, Pharmaindustrie sowie Finanzdienstleistungen, Einzelhandel und „wissensintensive“ Dienstleistungen, und zwar sowohl Groß als auch Mittel und Kleinbetriebe.
Die Intensivfallstudien waren eigenständiger Teil eines Verbundprojekts, an dem außer dem SOFI das Zentrum für empirische Sozialforschung in Halle (ZSH – Prof. Dr. Burkhart Lutz) mit einer repräsentativen Befragung von west- und ostdeutschen Betrieben sowie das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung in Nürnberg (IAB – Dr. Lutz Bellmann) mit der Auswertung des Betriebspanels beteiligt waren..
Die insgesamt 25, auf den Bereich typischer Fachkräftegruppen konzentrierten Betriebsfallstudien zeigen, dass die Beziehungen zwischen Nutzung und Weiterentwicklung von Kompetenzen einerseits und andererseits den Handlungsformen und Feldern betrieblicher Kompetenzentwicklung weitaus komplizierter ist als lange Zeit angenommen. Betriebliche Kompetenzentwicklung erweist sich derzeit als eine (mehr oder minder absichtsvolle) Organisations- und Personalentwicklungspraxis, die in unterschiedlichem Maße und auf unterschiedlichen Feldern Akzente zu einer Optimierung des Kompetenzstocks im Bereich mittlerer Fachkräfte setzt. Zu den überraschenden Ergebnissen der Studie zählt:
- Anders als vor dem Hintergrund der Debatte um Wissensarbeit und Wissensentwertung erwartet, ist eine strategische Neuorientierung auf externe Rekrutierung kaum zu beobachten, eher finden wir bei Fachkräften eine Revitalisierung des Musters interner Rekrutierung. Vor diesem Hintergrund ist die Modernisierung der eigenen Erstausbildung ein wesentliches strategisches Handlungsfeld; die Modernisierung zielt hier auf eine stärkere Einbettung der Lernprozesse in konkrete Arbeits- und Kooperationszusammenhänge.
- Darüber hinaus wird organisierte Weiterbildung/organisiertes Weiterlernen als wesentliches betriebliches Handlungsfeld definiert und praktiziert. Auch wenn sich dies faktisch vor allem im Ausbau non-formaler und informeller Lernarrangements – bei gleichzeitiger „bedarsforeintierter“ Regulierung des Zugangs zu formalisierter Weiterbildung – äußert, handelt es sich dabei nur in Ausnahmefällen um die Substitution „teurer“ durch „billige“ Lernformen. Jede Lernform korrespondiert vielmehr mit bestimmten Inhalten/Lernzielen. So werden etwa Kurse dann eingesetzt, wenn es um die Vermittlung grundlegender Kenntnisse aus dem angestammten Fachgebiet geht, während etwa non-formale Lernarrangements dort greifen, wo es um den Transfer von Wissen in einen bestimmten Arbeitskontext oder um Verhaltenskomponenten in der Arbeit geht.
- Weniger überraschend, wenngleich ernüchternd ist der Sachverhalt, dass eine dezidiert auf die Aktivierung der Mitabeiterkompetenzen zielende technisch-organisatorische Restrukturierung von Arbeit und Betrieb eher die Ausnahme, denn die Regel ist. Überraschend ist vielmehr, dass über die Reorganisation zwar vorentschieden wird, wieweit überhaupt Raum für Kompetenzentwicklung in der Arbeit besteht, dass aber bei formal ansonsten gleichen stofflichen, technischen und organisatorischen Bedingungen ein erheblicher Handlungskorridor für die Kompetenzentwicklung zu bestehen scheint. Die von uns erhobenen Kompetenzprofile von Fachkräften in formal gleichen oder ähnlichen Arbeitstrukturen wiesen erhebliche Unterschiede auf, die mit eher „weichen“ Parametern der Lernförderlichkeit von Arbeit (Partizipation, berufliche Entwicklungsmöglichkeiten, Kooperationskultur etc.) kovariierten.
- Auffallend ist freilich, dass eine Gestaltung von Lernförderlichkeit vor allem dort betrieben wird, wo es sich um konkret-gegenständliche Tätigkeiten handelt. Je abstrakter die Arbeit (wissensintensive Tätigkeiten), um so weniger finden wir betriebliche Ansätze lernförderlicher Gestaltung. Allerdings sind diese Fachkräfte auch kaum darauf angewiesen. Dies ist bei den konkret-gegenständlichen Tätigkeiten vollkommen anders: Je weniger dort etwas für die Lernförderlichkeit getan wird, um so eher ist die Arbeit prekär im Sinne steigender Dequalifizierungsrisiken.