Projektinhalt

Das Ziel des Verbundvorhabens "Re-SozIT" besteht in der IT-basierten Erschließung und Sekundäranalyse qualitativen Materials zum Thema "Gute Arbeit".

Die Arbeitswelt hat sich seit Ende der prosperierenden Nachkriegsjahrzehnte, das für die Bundesrepublik Deutschland auf den Zeitraum zwischen 1973 (Ölpreisschock) und 1985 (erste Neujustierungen des Arbeitsrechts im Rahmen des Beschäftigungsförderungsgesetzes) datiert werden kann, grundlegend verändert – doch wie wirkte sich die neue Konstellation nach dem ökonomischen Boom auf Vorstellungen von „guter Arbeit“ aus? Dieser Forschungsfrage will sich der antragstellende Verbund auf Grundlage einer IT-basierten Erschließung und Sekundäranalyse der umfangreichen Primärdaten widmen, die seit 1968 am Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen erhoben wurden. Die Beantwortung dieser Frage erfordert zum einen den Bruch mit der in der Arbeitssoziologie dominierenden Beschränkung auf empirische Momentaufnahmen, weil zu verschiedenen Zeitpunkten erhobenes Material aufeinander bezogen werden muss, um Veränderungen im Zeitverlauf analysieren zu können. Zum anderen ist die methodologische Herausforderung zu meistern, wie die im Rahmen qualitativer Sozialforschung generierten Materialien einer Sekundäranalyse zugänglich gemacht werden können. Daraus ergibt sich ein Vorhaben, das einer archäologischen Ausgrabung ähnelt: Man weiß um die Existenz wertvoller Relikte (in Gestalt der umfangreichen Dokumentationen von SOFI-Studien). Um dieses Material zu bergen (also für Sekundäranalysen zugänglich zu machen), müssen jedoch neue (IT-basierte) Schürfwerkzeuge entwickelt werden, welche die Relikte einerseits nicht zerstören (also etwa den in Betriebsfallstudien erfassten Kontext von Arbeitssituationen bewahren), sie aber andererseits in neuem Licht erscheinen lassen (um das Material für eine Längsschnittanalyse der Wechselwirkungen zwischen Arbeitskonstellationen und Vorstellungen von „guter Arbeit“ nutzen zu können). Angestrebt wird daher eine (bislang kaum praktizierte) soziologische und geschichtswissenschaftliche Kontextualisierung arbeitssoziologischer Betriebsfallstudien, um damit methodologisch neue Wege (zwischen einem rein qualitativ-interpretierenden und einem rein quantitativ-standardisierenden Zugriff auf diese spezifischen Primärdaten) zu beschreiten. Zu diesem Zweck werden IT-Werkzeuge entwickelt und erprobt, die es erlauben, systematisch und kollaborativ, entwicklungsorientiert und reflektierend eine interdisziplinäre, fallstudienübergreifende Längsschnittanalyse qualitativen empirischen Materials durchzuführen. 


Für das Pilotvorhaben steht das umfangreiche Forschungsdatenarchiv des SOFI mit etwa 50 arbeits- und industriesoziologischen Projekten seit den 1970er Jahren zur Verfügung. Um dieses Material für Primärprojekte übergreifende Sekundäranalysen zu erschliessen, werden IT-Werkzeuge entwickelt und erprobt, die es erlauben, systematisch und kollaborativ, entwicklungsorientiert und reflektierend auf dieses Material zuzugreifen und Analysen des qualitativen empirischen Materials durchzuführen. Für diese - teils semi-automatische – Analyse werden Ansätze wie Topic Modelling, Sentiment-Analyse, etc. aus den Bereichen Information Retrieval und Text Mining aufgegriffen und angepasst.

In enger Kooperation zwischen den soziologischen und zeithistorischen und Informatik-Teilprojekten wird das qualitative Datenmaterial der SOFI Studien aus vier Jahrzehnten erschlossen und der soziologischen und zeitgeschichtlichen Sekundäranalyse zugänglich gemacht. Die in den arbeitssoziologischen Primärstudien seit 1966 bis heute erhobenen empirischen Momentaufnahmen sollen systematisch aufeinander bezogen werden um Veränderungen im Zeitverlauf analysieren zu können. Ausgehend von der sekundäranalytischen Fragestellung werden mit neuen IT-Werkzeugen Interviews gesucht und ausgewertet, die hierzu Aussagen enthalten. Allerdings könne diese Interviews nicht losgelöst von ihrem historischen und empirischen Entstehungskontext analysiert werden. Vielmehr müsssen neue Methoden der (Re-)Kontextualisierung entwickelt werden, um den jeweiligen Kontext der Interviews aus den Primärstudien zu erschliessen und bei der Analyse zu berücksichtigen. Bei dieser soziologischen und geschichtswissenschaftlichen Kontextualisierung qualitativer, arbeitssoziologischer Studien werden methodisch neue Wege beschritten, um die  im Rahmen qualitativer Sozialforschung generierten Materialien aus einer Vielzahl von Primärstudien einer Längsschnittanalyse zugänglich zu machen.

Es werden IT-Werkzeuge entwickelt und eingesetzt, die es erlauben, systematisch, kollaborativ und reflektierend primärstudienübergreifende Längsschnittanalysen mit dem umfangreichen empiri-schen Material aus dem digitalen Forschungsarchiv des SOFI durchzuführen.

Im Hinblick auf die Problematik der Datenanonymisierung wird zudem ein Konzept erstellt, welches auf den Bausteinen Risikoklassifizierung, IT-gestützte Anonymisierungsmaßnahmen und infrastrukturelle Rahmenbedingungen mit abgestuften Zugangsrechten beruht.


Genutzte Ressourcen, existierende Forschungsdaten

Forschungsdaten aus dem Archiv des Soziologischen Forschungsinstituts
•    Dokumente aus ca. 50 Forschungsprojekten, die am SOFI seit Ende der 1960er Jahre durchgeführt und archiviert wurden; 
•    davon ca. 250.000 nachträglich digitalisierte Dokumente aus Projekten ab 1968 bis Mitte der 1990er Jahre; überwiegend Leitfadeninterviews mit Beschäftigen, Expertengespräche, Dokumentationen von Zwischenergebnisse und unterschiedlichen Kontextinformationen;  
•    digital erstellte Dokumente aus Projekten seit Mitte der 1990er Jahre

Entstehende Ressourcen:

Pilotdatenbank mit qualitativen Forschungsdaten aus ausgewählten Projekten des SOFI Archivs; sie wird nach Projektablauf für die Nutzung durch andere WissenschaftlerInnen zur Verfügung gestellt werden (unter Berücksichtigung der Anonymisierungsregeln)
•    die zu entwickelnde (Meta-)Datenstruktur und das Datenbankmodell sind Grundlage für den weiteren Aufbau des digitalen SOFI-Archivs, das unter Berücksichtigung der besonderen Datenschutzanforderungen ebenfalls für wissenschaftliche Nutzung zur Verfügung stehen soll (unter Berücksichtigung der Vorschläge für Non-Disclosure-Agreements)
•    IT-Werkzeuge für die Erschließung und (semi-)automatische Analyse heterogener qualitativer Forschungsdaten, insbesondere für Exploration, Extraktion und Aggregation von Daten, sowie für deren Kontextualisierung. Ausgewählte Werkzeuge werden als Open Source zur Verfügung gestellt. 
•    Guidelines / Best Practices zur Anonymisierung qualitativer Forschungsdaten am Beispiel des SOFI-Archivs

Kooperationen:

•    Göttinger Centre für Digital Humanities
•    DARIAH
•    Datenservicezentrum Betriebs- und Organisationsdaten (DSZ-BO), Universität Bielefeld
•    Archiv für Lebenslaufforschung (ALLF) / eScience lab,  Universität Bremen
•    angestrebt sind Kooperationen hinsichtlich Metadaten¬standards für qualitative Forschungsdaten (zusätzlich zu den o.g., SFB 600 Universität Trier, DDI,  u.a.) 
•    angestrebt ist eine Kooperation mit ATLAS.ti über ein Datenformat für Import und Export semi-automatisch annotierter Forschungsdaten 
•    Kooperation mit weiteren Anwendern, z.B. dem Institut für Sozialforschung (ISF) München und dem International Institute for Social History“ (IISG) in Amsterdam

Fragestellungen:

•    Subjektivierung von Arbeit (erst) nach dem Boom? (Soziologie)
•    „Gute Arbeit“ als Alltagspraxis (Soziologie)
•    Wahrnehmung von Arbeit im Zeichen von Arbeitslosigkeit (Geschichte)

Die soziologischen und historischen Teilprojekte sollen zeitlich und inhaltlich eng koordiniert werden, um sich der gemeinsamen Fragestellung nach Veränderungen in Vorstellungen von „guter Arbeit“ nach Ende des ökonomischen Booms der Nachkriegsjahrzehnte im Rahmen eines kollaborativen Arbeitsprozesses annähern zu können.