Projektinhalt

Die aktuelle „Flüchtlingskrise“ hat breite Debatten darüber ausgelöst, wie eine gesellschaftliche Integration der Zuwandernden gelingen kann. Deren Integration in den Arbeitsmarkt spielt dabei eine zentrale Rolle. Argumentiert wird, dass zwischen hochqualifizierten Flüchtlingen (etwa syrischen Ärzten) und geringqualifizierten Flüchtlingen (etwa Hilfsarbeitern vom Westbalkan) klar zu unterscheiden sei. Weil man von ersteren eine Linderung von Fachkräftemangel, von letzteren aber Dumpingkonkurrenz und eine Senkung von Arbeitsstandards erwartet, werden Zuzug und Arbeitsmarktzugang beider Gruppen seit langem unterschiedlich politisch reguliert. Die daraus resultierende Arbeitsmarktposition von Flüchtlingen ist Gegenstand vieler Studien zu Migration und Arbeit, wobei vor allem der Zugang zu Arbeitsmöglichkeiten thematisiert wird. Wenn es jedoch zutrifft, dass die politische Regulierung von Arbeit („politics of production“) in enger Wechselwirkung zu betrieblichen Mikropolitiken („politics in production“) steht, wie Burawoy (1983) argumentiert, greift die Polarisierungsthese zu kurz, da sie ein allzu dichotomes und zudem statisches Bild von migrantischer Beschäftigung zeichnet. Ausgeblendet bleibt die betriebliche Nutzung von Arbeitskraft, die entscheidenden Einfluss darauf hat, ob eine gesellschaftliche Integration von Flüchtlingen durch Arbeit gelingt. Das skizzierte Projekt richtet daher seinen empirischen Fokus auf Veränderungen der Positionen von Flüchtlingen im Arbeitsprozess, die im Rahmen von Interessenkonflikten und (individuellen wie kollektiven) Aneignungsprozessen permanent neu ausgehandelt werden. Diese Neu-Positionierungen haben (so die zweite These) nicht nur Folgen für die Arbeits- und Lebensbedingungen von Flüchtlingen, sondern zugleich direkte Konsequenzen für die betriebliche Sozialordnung insgesamt und somit auch für Beschäftigte ohne (aktuellen) Migrationsstatus. Um den Verlauf betrieblicher Integrationsprozesse (oder ihr Ausbleiben) analysieren zu können, werden insgesamt sechs Tätigkeitsfelder in vier Branchen auf Basis intensiver Betriebsfallstudien analysiert: Ärzte und qualifiziertes Pflegepersonal im Gesundheitswesen, qualifizierte Facharbeit und Hilfsarbeit in der metallverarbeitenden Industrie, (vorwiegend männliche) Hilfsarbeit in der fleischverarbeitenden Industrie sowie (vorwiegend weibliche) Hilfsarbeit im Reinigungsgewerbe. Regionaler Schwerpunkt der Untersuchung ist Niedersachsen, da die Diskussion über die betriebliche Nutzung migrantischer Arbeitskraft hier aufgrund eines hohen MigrantInnenanteils in vielen Branchen sowie aufgrund der intensiven Auseinandersetzung niedersächsischer Ministerien mit den Arbeitsbedingungen von Zugewanderten im Gefolge presseträchtiger Skandale besonders weit fortgeschritten ist. Die Untersuchung umfasst drei Schritte: Im ersten Schritt dient ein Gesprächsprogramm mit ausgewählten ExpertInnen dazu, betriebliche Strategien der Nutzung migrantischer Arbeitskraft in den vier Branchen zu identifizieren. Wer soll mit welchen Qualifikationen und mit welcher Perspektive in welche Arbeitsprozesse integriert werden, und welche Maßnahmen werden dafür als notwendig erachtet? Im zweiten Schritt werden sechs Betriebsfallstudien durchgeführt, um die veränderliche Praxis betrieblicher Arbeitskraftnutzung im Spannungsfeld von unsicherem Rechtsstatus (politics of production) und betrieblicher Einbindung (politics in production) zu erkunden, wobei für Hoch- wie Geringqualifizierte das jeweilige Verhältnis von Regularisierungs- und Informalisierungsprozessen zu ergründen ist. Im dritten Schritt werden die Befunde auf Forschungsergebnisse zu anderen Bundesländern und EU-Ländern bezogen, um etwaige Besonderheiten der niedersächsischen Konstellation identifizieren und verallgemeinerbare Perspektiven für Arbeitspolitik unter Bedingungen expandierender Zuwanderung entwerfen zu können.