Zusammenhalt in digitalen Arbeitswelten (FGZ-Projekt)
Projektinhalt
Zielsetzung/Fragestellung
Die Erwerbsarbeit befindet sich im Prozess einer weitreichenden digitalen Transformation, die nicht allein den betrieblichen, sondern auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt unmittelbar tangiert. Die Digitalisierung führt zu tiefgreifenden Umwälzungen der Arbeitswelt. Prognostiziert werden weitreichende Arbeitsfolgen des digitalen Umbruchs im Hinblick auf Effekte der Rationalisierung (Beschäftigungsabbau, Qualifizierungserfordernisse), der Polarisierung (Digitalisierungsgewinner und -verlierer) und der Deregulierung der Arbeit (Schwächung des Schutzes und der Stellung der Arbeitnehmer*innen). Noch ist unklar, wie sich diese Umwälzungen auf die sozialen Beziehungen und betrieblichen Ordnungen auswirken werden.
Vor diesem Hintergrund soll empirisch der Frage nachgegangen werden, inwieweit und in welcher Form sich der Wandel der Arbeit im digitalen Umbruch (Fragmentierungen, Virtualisierungen, datenbasierte konkurrenzielle Vergleiche, Polarisierungen etc.) auf die mesosozialen – organisationalen und institutionellen – Praktiken sowie auf die mikrosozialen – individuellen und gruppenbezogenen – Praktiken des Zusammenhalts (und Gegeneinander) in Betrieben auswirkt (einschließlich Veränderungen bezüglich Ein-/Ausschlüssen und Spaltungslinien).
Neben der Analyse der Folgewirkungen für das betriebliche und arbeitsbezogene Sozialgefüge werden auch die Ausstrahlungseffekte auf den privaten und gesellschaftlichen Bereich in die Untersuchung einbezogen. Diese Effekte werden entlang von zwei Untersuchungsfragen bearbeitet: Inwieweit haben erstens die Veränderungen im Arbeitsumfeld Einfluss auf mikrosoziale Praktiken des Zusammenhalts in der Privatsphäre (Familie, Freunde, Nachbar*innen) und in der gesellschaftlichen Sphäre (Ehrenamt, politisches oder soziales Engagement)? Ob und inwieweit finden zweitens Ausstrahlungseffekte auf diese Sphären wiederum auf der Meso-Ebene des organisationalen und institutionellen betrieblichen Handelns Berücksichtigung?
Dem Projektvorhaben liegt ein qualitatives Forschungsdesign zugrunde, das auf einer inhaltsanalytischen Auswertung von Interviewtranskripten und einschlägigen Dokumenten unter Hinzuziehung der relevanten Sekundärliteratur beruht. Die Untersuchung erstreckt sich auf exemplarische Fallstudien in fünf Betrieben bzw. Betriebsbereichen, die unterschiedliche Phänomene digital organisierter und strukturierter Arbeit abdecken, z.B. virtuelle und wechselnde Projektarbeit / Crowd-sourcing, unternehmensinterne Social-Media-Plattformen, hochgradig kontrollierte und digital taylorisierte Arbeit, selbstgesteuerte Arbeit mit hohen Freiheitsgraden hinsichtlich Ort und Zeit. Mindestens eine Betriebsfallstudie soll in einer gemeinsam gewählten Region der vom SOFI beantragten empirischen Projekte stattfinden, um eine integrierte Auswertung und gemeinsame Transferaktivitäten zu ermöglichen. In den gewählten Betrieben bzw. Betriebsbereichen werden leitfadengestützte, themen- und problemzentrierte Interviews mit Management, Betriebsrat und Beschäftigten durchgeführt, mit Letzteren zudem Gruppeninterviews.
Thematischer Bezug zu gesellschaftlichem Zusammenhalt
Gegenwartsgesellschaften sind Erwerbsarbeitsgesellschaften. Erwerbsarbeit stellt einen zentralen gesellschaftlichen Integrationsmechanismus dar. Sie entscheidet über die ökonomisch-materielle Stellung in der Sozialstruktur, über sozialen Status und gesellschaftliche Anerkennung. Zugleich ist das Arbeitsverhältnis eine erlebte und durchlebte Sozialbeziehung. Betriebe sind Sozialräume und damit Erfahrungsräume der Praxis des Zusammenhalts und Konflikts (um Fragen von Anerkennung, Verteilung, Beteiligung und Gestaltung). Darüber hinaus strahlt die Arbeits- und Beschäftigungssituation auf die alltägliche Lebensführung und familiäre Situation aus und entscheidet über Möglichkeiten und Grenzen (ehrenamtlichen) gesellschaftlichen Engagements mit.
Der gegenwärtige digitale Umbruch wird mit grundlegenden Veränderungen der Arbeitsprozesse, Tätigkeitsstrukturen, Geschäftsmodelle und Wettbewerbsstrukturen verknüpft. Berufliche Kompetenzen stehen in Frage, Tätigkeitsfelder werden neu geordnet. Verunsicherungen bei Beschäftigten (angesichts drohender Entwertungen ihrer bisherigen Arbeitserfahrungen und Qualifikationen, verbunden mit Ängsten, zurückzubleiben oder überfordert zu sein), aber auch im Management sind schon heute beobachtbar.
Die Erwerbsarbeit befindet sich im Prozess einer weitreichenden digitalen Transformation, die aller Voraussicht nach nicht allein den betrieblichen, sondern auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt unmittelbar tangieren wird.