Das SOFI im Jahr 2014
Forschungsprofil ‑ Kontinuität und neue Perspektiven
Die Entwicklung neuer Perspektiven manifestiert sich in einer Reihe von Projekten. Hierzu zählen Forschungen zu Gerechtigkeitsansprüchen und Interessenorientierungen in Betrieben, zur EDV-gestützten Sekundärauswertung qualitativer Arbeitsforschung, oder zur im SOFI koordinierten sozioökonomischen Berichterstattung. Weitere Projekte nehmen die Umsetzung des Konzepts der sozialen Teilhabe in den Blick, thematisieren arbeitsmarktbezogene Ungleichheits- und Segregationstendenzen sowie die Auswirkungen der Finanzialisierung auf die Entwicklung europäischer Gesellschaften. Auch die Frage der Gestaltungskraft des Rechts in der Arbeitswirklichkeit gewinnt in den Forschungen des Instituts an Gewicht.
Unter den langjährigen Forschungsaktivitäten gilt es, den nationalen Bildungsbericht „Bildung in Deutschland“ hervorzuheben, der im Jahr 2014 mittlerweile zum fünften Mal erschienen ist, und in dem das SOFI durchgängig für den Berichtsteil zur beruflichen Ausbildung und die Entwicklung und Weiterentwicklung einschlägiger Indikatoren verantwortlich zeichnet. Standen in der Vergangenheit Analysen zu Entwicklung und Strukturen des beruflichen Übergangssystems im Vordergrund, so haben die Autoren aus dem SOFI nun mit Analysen zur Ablösung der dualen Ausbildung als der bestimmenden Institution beruflicher Ausbildung in Deutschland starke Akzente gesetzt.
In der wissenschaftlichen Öffentlichkeit war das SOFI als Veranstalter bzw. Mitveranstalter einer Reihe von Tagungen präsent.
Mit der Frage nach dem Verhältnis von Vielfalt und Ungleichheit stand eine in allen Forschungslinien des Instituts verfolgte Leitfragestellung der SOFI-Forschung im Mittelpunkt der diesjährigen Tagung der Reihe „SOFI ‑ Work in Progress“. Auf der Grundlage von Beiträgen aus den verschiedenen Forschungslinien des SOFI sowie durch Beiträge externer Referenten und Referentinnen wurde die Frage erörtert, inwieweit sich die Unterschiedlichkeit individueller Lebenslagen als Ausdruck erweiterter Wahlmöglichkeiten oder verschärfter Ungleichheit begreifen lässt und welche empirischen Konzepte für die Beantwortung dieser Frage zur Verfügung stehen.
Aus dem im Vorjahr begonnenen Kooperationsprojekt mit der Universität Oldenburg (Prof. Dr. Martin Heidenreich) zu Fragen kollaborativer Innovationen, das aus Forschungsmitteln des niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur gefördert wird, konnte im Rahmen der Jahreskonferenz der Society for the Advancement of Socioeconomics (SASE) in Boston vom Projektteam des SOFI eine Miniconference zu „The institutional foundations of distributed and open innovation“ erfolgreich beantragt und durchgeführt werden.
Die Frage nach dem Zusammenhang von Finanzialisierung bzw. der Entwicklung von Finanzinstitutionen in unterschiedlichen Ländern und wirtschaftlichen Entwicklungsmustern war das Thema einer Tagung von SOFI, Ford-Foundation und Hans-Böckler-Stiftung im Dezember 2014 in Berlin. Im Kern der Debatten in international hochkarätig besetzten Panels stand die Frage nach den fördernden oder hemmenden Wirkungen unterschiedlicher Finanzinstitutionen auf Innovationskraft und Entwicklungsfähigkeit von Unternehmen und Volkswirtschaften sowie danach, wie politische Regulierung diesen Zusammenhang positiv oder negativ beeinflussen kann. Eine Anerkennung der in den zurückliegenden Jahren aufgebauten Kompetenz auf dem Feld der sozialwissenschaftlichen Forschung zur Finanzialisierung und zugleich die Möglichkeit, diese Forschungslinie auszubauen, stellt der Zuschlag für ein Verbundprojekt zu gesellschaftlichen Erwartungen an Banken im Rahmen einer Ausschreibung des BMBF dar.
Für eine inhaltliche wie methodische Erweiterung der Arbeitsforschung steht der Beginn eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Agence National de la Recherche (ANR) geförderten Projekts zur beruflichen Verwirklichungschancen von ArbeitnehmerInnen in Deutschland und Frankreich, das in Kooperation mit dem Institut Georg Simmel an der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales (EHESS) durchgeführt wird. Die international vergleichende Perspektive wird hier nicht allein über die Abstimmung von Instrumenten, sondern über den Einsatz zweisprachiger, gemeinsamer Erhebungsteams in beiden Ländern realisiert.
Hinzu kommen im Berichtsjahr eine Reihe von Aktivitäten, die auf die Etablierung von Forschungsinfrastrukturen zielen. Das gilt mit Blick auf die Virtuelle Forschungsumgebung, die ‑ als Prototyp zunächst im Zusammenhang mit der Sozioökonomischen Berichterstattung entwickelt ‑ in einem weiterführenden Verbund betrieben werden soll. Und es gilt für das Projekt eines interdisziplinären Zentrums für IT-basierte qualitative arbeitssoziologische Forschung, das ausgehend von Erfahrungen im Bereich der e-humanities verfolgt wird.
Die Entwicklung im Überblick
Im Berichtsjahr 2014 wurden am SOFI insgesamt 30 Projekte bearbeitet, zwei davon wurden abgeschlossen und eines neu begonnen. Die Zahl der Projekte entspricht damit fast genau der des Vorjahres, bei allerdings nochmals deutlich veränderter Laufzeiten‑ und Fristenstruktur. Die bereits für 2013 verzeichnete Entwicklung hin zu längerfristigen Projekten und zu einem Rückgang der zeitweilig stark angestiegenen Zahl ausgesprochener „Kurzläufer“ setzt sich damit erfreulicherweise fort. Während die Vorjahresentwicklung mit immerhin 13 neu begonnenen Projekten stark von Neuanläufen geprägt war, bestimmen im Berichtsjahr die über das gesamte Jahr hinweg durchlaufenden Projekte das Bild. Diese Entwicklung ist positiv zu bewerten, denn länger laufende Projekte bieten bessere Voraussetzungen dafür, komplexere Fragestellungen mit Blick auf das eigene Forschungsprogramm systematisch und mit längerem Atem zu verfolgen. Sie sind allerdings in aller Regel mit einem jeweils beträchtlichen Akquiseaufwand verbunden.
Die neuerliche Ausweitung der Forschungsausgaben im Berichtsjahr ist damit im Wesentlichen ein Ergebnis erfolgreicher Akquisetätigkeit im Vorjahr. Die damals begonnenen Projekte schlagen nunmehr als ganzjährige zu Buche, das im Frühjahr neu angelaufene deutsch-französische Projekt geht auf eine Bewilligung im Vorjahr zurück.
Die gestiegene Zahl und die veränderte Fristenstruktur der bearbeiteten Projekte spiegelt sich in einer nochmals deutlichen Zunahme der finanziellen Forschungsaufwendungen des SOFI wider. Dabei geht der Zuwachs im Berichtsjahr in erster Linie auf die geplante Zunahme des Anteils von Mitteln der Ressortforschung (BMBF, BMAS) zurück. Die betreffenden Projekte im Bereich der E-Humanities, der arbeitsmarktbezogenen Evaluations‑, der Bildungsforschung sowie der Sozioökonomischen Berichterstattung sind sowohl für die zentralen Linien wie für die integrative Perspektive des Forschungsprogramms von großer Bedeutung, nicht zuletzt, weil sie empirische Zugänge und Verknüpfungen ermöglichen, die auf anderem Wege kaum zu erschließen wären. Die genannten Projekte entsprechen zugleich dem vom Institut verfolgten Anspruch, mit wissenschaftlicher Forschung in politische Praxisfelder hinein zu wirken. Ungeachtet dieser geplanten Verstärkung der Ressortforschungsanteile halten wir an dem Ziel einer absoluten und relativen Stärkung des Anteils von Mitteln der Forschungsförderungsinstitutionen (DFG, VW-Stiftung, Hans-Böckler-Stiftung etc.) fest. Einen Beitrag dazu sehen wir auch in der Förderung eines umfangreichen Verbundprojekts mit der Universität Oldenburg aus Forschungsförderungsmitteln („VW-Vorab“) des niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur.
Der Aufwand für die Akquise neuer Projekte war auch im Berichtsjahr wieder beträchtlich. Dazu trägt bei, dass infolge veränderter Finanzierungsmodalitäten im Forschungsbereich die Zahl der Bewerber um Drittmittel seit einer Reihe von Jahren zunimmt. In diesem Sinne hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft in einer Stellungnahme beklagt, dass wachsende Anteile der vormaligen Grundfinanzierung von Universitäten in den Bereich der Forschungsförderung verlagert werden, mit der Konsequenz, dass auch durchaus förderungswürdige Projekte abgelehnt werden müssten1. Eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass sich das SOFI in diesem schwieriger gewordenen Umfeld gut behaupten kann, bilden wie in den zurückliegenden Jahren das Engagement aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des SOFI und insbesondere ihre Bereitschaft, Verantwortung für die Akquisestrategie des Instituts insgesamt zu übernehmen. Die andere zentrale Voraussetzung für die Fähigkeit des Instituts, die Erarbeitung und Beantragung von Forschungsprojekten vorausschauend und im Rahmen eines längerfristigen Forschungsprogramms betreiben zu können, ist die Förderung durch das Land Niedersachsen. Das betrifft in erster Linie die institutionelle Förderung als grundlegende Voraussetzung für Verfolgung einer eigenständigen Forschungsstrategie, die sich dauerhaft an wissenschaftlichen wie an gesellschaftlichen Relevanzkriterien orientiert. Darüber hinaus hat das SOFI bei der Realisierung seiner Konferenzen unter dem Titel „SOFI ‑ Work in Progress“ sowie neuerdings im Bereich der Promotionsförderung von speziellen Fördermöglichkeiten durch das Land Niedersachsen profitiert. Die Förderung einer (anschließenden) Abschlussphase von Promotionen, die im Rahmen von Forschungsprojekten erarbeitet werden, stellt ein Förderinstrument dar, dessen Nutzen mit Blick auf die Projektbearbeitungs‑ und Promotionsbedingungen in Instituten wie dem SOFI kaum hoch genug veranschlagt werden kann.
Die Entwicklung der Beschäftigung im Berichtsjahr ist in diesem Jahr nochmals durch einen leichten Personalaufbau gekennzeichnet. Dieser geht zum Teil darauf zurück, dass im Vorjahr vorgenommene Neueinstellungen nunmehr ganzjährig zu Buche schlagen. Darüber hinaus stehen dem Ausscheiden zweier langjährige Mitarbeiter/innen im wissenschaftlichen Bereich zwei Neueinstellungen gegenüber. Mit sechs am SOFI beschäftigten und einer externen hat sich die Zahl der am SOFI betreuten PromovendInnen gegenüber dem Vorjahr zum Jahresende um eine auf das längerfristig übliche Niveau vermindert. Von den internen Promotionen wurde eine im Berichtsjahr erfolgreich abgeschlossen.
Das Institut und seine MitarbeiterInnen sind über die Betreuung von Promotionen im SOFI hinaus in mehrerlei Hinsicht in der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung engagiert. Das betrifft zum einen das regelmäßige Abhalten von Lehrveranstaltungen an der Georg-August-Universität sowie die Betreuung von Diplom‑, Bachelor‑ und Masterarbeiten. Im Berichtsjahr wurden vom SOFI Seminarveranstaltungen im Umfang von 5 Semesterwochenstunden im Wintersemester 2013/14 angeboten. Darüber hinaus vertrat Michael Faust im Wintersemester 2013 und im Sommersemester 2014 im Umfang von jeweils einer halben Stelle den vakanten Lehrstuhl für Arbeit und Wissen. Zum andern erfolgt die Betreuung von Promotionen an externen Institutionen. Hierzu zählen fünf laufende Promotionen an der Universität Kassel; eine dieser Promotionen erfolgt in Zusammenarbeit mit der Bogazici-University Istanbul. Des Weiteren konnten an der Universität Kassel im Berichtsjahr drei Promotionen mit Zweitbetreuung erfolgreich abgeschlossen werden.
Erwähnung verdient darüber hinaus das Graduiertenkolleg „Qualifikatorisches Upgrading in KMU“, als dessen stellvertretender Sprecher Jürgen Kädtler fungiert. Drei Zweitbetreuungen von Dissertationen sowie wesentliche Teile des Kollegprogramms werden aus dem SOFI bestritten. Schließlich werden von Jürgen Kädtler und Peter Birke als Vertrauensdozenten der Hans-Böckler-Stiftung insgesamt 21 Stipendiaten betreut. Ungeachtet einer notwendig hohen Drittmittelorientierung haben die MitarbeiterInnen des Instituts damit auch im Berichtsjahr beträchtliches Engagement in der akademischen Lehre und in der Nachwuchsförderung außerhalb des Instituts erbracht.
Die Entwicklung in der Forschungsschwerpunkten
Arbeit im Wandel
Im Forschungsschwerpunkt Arbeit im Wandel sind im Jahre 2014 mehrere größere Projekte in ihre Abschlussphasen eingetreten. Mit dem Projekt „Brüchige Legitimationen“ wurde dabei erstmals seit mehreren Jahren wieder eine ausführliche Analyse von Orientierungen von Beschäftigten (Ansprüche an Arbeit und Betrieb, Gerechtigkeitsnormen) durchgeführt. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, wie vielfältig Gerechtigkeits‑ und Rationalitätsansprüche von Beschäftigten heute an Erwerbsarbeit sind: Das Anspruchsspektrum umfasst moralische Erwartungen an Leistungsgerechtigkeit, Beteiligung, Selbstverwirklichung, Fürsorge und Würde, die sich mit technisch-funktionalen, bürokratischen und ökonomischen Rationalitätsansprüchen verbinden. Dabei haben die typischen Anspruchsmuster wenig mit dem „neuen Geist des Kapitalismus“ oder einem neoliberalen Ich-Unternehmertum zu tun, sondern verdeutlichen Nachhaltigkeit wie Irritation von Arbeitsnormen, die sich im Horizont von Normalarbeitsverhältnis und Berufsethos bewegen. Die Studie ist ein aktueller Beleg dafür, dass ein eigenständiger, empirischer Blick auf Arbeitserfahrungen und deren subjektive Verarbeitung durch die Beschäftigten ein unverzichtbarer Bestandteil arbeitssoziologischer Analysen ist.
Erste Ergebnisse liegen außerdem aus dem Projektverbund „‘Gute Arbeit‘ nach dem Boom“ vor. In enger Zusammenarbeit mit den Universitäten Trier und Hannover werden Möglichkeiten der Aufbereitung von SOFI-Forschungsmaterialien untersucht, um sie für weitere Forschungsarbeiten zugänglich zu machen. Ein wichtiges Ergebnis dieser Arbeiten ist ein Archivportal, das vor allem die Suche nach für die Sekundäranalyse geeignetem Material aus den SOFI-Beständen erheblich erleichtert. Erste inhaltliche Erfahrungen mit der Sekundäranalyse qualitativer SOFI-Betriebsfallstudien liegen bezogen auf die Themen Wandel betrieblicher Kontrolle und Herrschaft sowie kollektives Handeln in der Werft‑ und Automobilindustrie vor. Die Re-Analyse früherer Studien erweist sich insbesondere mit Blick auf Fragen der Aneignung von Rationalisierungs‑ und Subjektivierungsprozessen durch Beschäftigte als fruchtbar. Zentral für eine sekundäranalytische Nutzung ist dabei ein hermeneutischer Zugang, der auf der Grundlage einer eigenen, neuen Fragestellung die historische Fallkonstruktion und den je historischen Kontext herausarbeitet. Auf dieser Grundlage zeigt sich, dass in der Re-Analyse gerade in der Längsschnittperspektive Aspekte bearbeitet werden können, die in früheren Auswertungen noch keine Rolle gespielt haben.
In einer Reihe von Projekten, die stärker auf spezifische Tätigkeitsfelder und Beschäftigtengruppen ausgerichtet waren, wurden in 2014 Ergebnisse vorgelegt, die nicht nur die Fruchtbarkeit und Notwendigkeit von feldbezogenen Analysen belegen, sondern darüber hinaus die Relevanz arbeitssoziologischer Analysen für Gestaltungsfragen verdeutlichen:
So konnte im Projekt „Aushandlung interorganisationaler F+E-Projekte ‑ formale und informale Strukturierung“ nicht nur die Bedeutung von situativ-informalen Aushandlungs‑ und Verständigungsprozessen für das Gelingen kooperativer Produktentwicklung gezeigt werden. Deutlich wurde auch, dass Kooperationsprobleme vielfach auf Informationspathologien zurückzuführen sind, die aus den je unterschiedlichen Praktiken, Erfahrungs‑, Gedanken‑ und Begriffswelten der kooperierenden Betriebe resultieren. Die Kooperation wird angesichts dessen von den Beteiligten einerseits als eine ungewohnte Zusatzbelastung wahrgenommen, anderseits aber auch zum Anlass genommen, die eigenen Praktiken zu reflektieren und die Kooperationskompetenz weiterzuentwickeln. Darüber hinaus zeigte sich, dass realistische Projektpläne nicht ohne Mitwirkung der Sachbearbeiter erstellt werden können und die Steuerung der Projekte faktisch eine verteilte und von Iterationen geprägte Aufgabe ist, die mit dem „Plandeterminismus“ hierarchischer Koordination nicht zu bewältigen ist. Durch Gelegenheitsstrukturen für die „beratende Zusammenarbeit“, das Sensemaking und eine gemeinsame Erörterung von Lösungsmöglichkeiten zwischen Kooperationspartnern bereits in den frühen Phasen und auf der operativen Ebene der F+E-Projekte können folgenschwere Informationspathologien vermieden und das Commitment der Beteiligten zur Kooperation und den Projektzielen gefördert werden.
Die in österreichischen Betrieben durchgeführten Begleitforschungsprojekte haben für unterschiedliche Felder wie Disposition/Kundenservice, Teamarbeit im Angestelltenbereich (After Sales) sowie die Ausgestaltung von Produktionssystemen in der Automobilindustrie und im Maschinenbau nicht nur gezeigt, dass erhebliche arbeitspolitische Gestaltungsspielräume bestehen, sondern in den Projekten wurde zugleich deutlich, dass allgemeine Grundprinzipien innovativer Arbeitspolitik entlang der je spezifischen Merkmale und Anforderungen von Tätigkeitsfeldern und betrieblichen Konstellationen differenziert ausgearbeitet und angepasst werden müssen. Auch in diesen Studien zeigte sich, dass Arbeitssoziologie gut beraten ist, die jeweiligen Eigenheiten von Tätigkeiten und die je spezifischen Arbeitserfahrungen und Orientierungen der Beschäftigten ernst zu nehmen. So waren im Kundenservice-Fall nicht nur die spezifischen Anforderungen von Interaktionsarbeit gestaltungsrelevant, sondern als wichtig für das Verständnis der Arbeits‑ und Berufssituation der Beschäftigten und Fragen der Organisationsgestaltung erwies sich der Sachverhalt, dass es sich hierbei um eine Schnittstellen-Tätigkeit handelt. Im Untersuchungsfall „Teamarbeit im Angestelltenbereich“ zeigte sich beispielsweise im Unterschied zu in früheren Studien im Mittelpunkt stehenden Produktionsteams, dass die Ausweitung von Selbstorganisationsspielräumen und ‑ressourcen der Teams eine etwas geringere Rolle spielt, der Ausgestaltung der Zusammenarbeit mit den Vorgesetzten sowie der Einbindung der Teams in die Gesamtorganisation demgegenüber eine sehr viel größere Bedeutung zukommt.
Mit dem Projekt „IWEPRO ‑ Intelligente selbstorganisierte Werkstattproduktion“, das im klassischen Tätigkeitsfeld Produktionsarbeit angesiedelt ist, hat das seit einer Weile öffentlich stark diskutierte Thema „Industrie 4.0“ bzw. allgemeiner: „Digitalisierung der Arbeitswelt“ auch im SOFI eine größere Aufmerksamkeit erlangt. Erste Erfahrungen aus diesem Projekt deuten darauf hin, dass Beschäftigte in automatisierten Fertigungsbereichen den Perspektivszenarien einer stärker automatisierten und digitalisierten Fabrik mit interessiertem Pragmatismus begegnen. Die in diesem industriellen Anwendungsprojekt erstmals erprobten Formen der direkten Beteiligung von Beschäftigten an Planungsüberlegungen, stoßen bei den Betroffenen auf große Zustimmung. Zugleich finden sich deutliche Hinweise auf erhebliche Qualifizierungsnotwendigkeiten und bleibenden Gestaltungsbedarf hinsichtlich einer lernförderlichen und alternsgerechten Arbeit. Der Blick auf die Bedeutung neuer technologischer Möglichkeiten in ihren Wirkungen auf Arbeit spielt ‑ gerade weil die gesellschaftliche Debatte sich diesem Thema verstärkt zuwendet ‑ bei der Entwicklung neuer Projekte wieder eine größere Rolle und ist Gegenstand mehrerer Forschungsanträge. Bisher spricht allerdings viel dafür, dass der Wandel von Arbeit sich auch unter dem Vorzeichen einer fortschreitenden Digitalisierung nicht über die Analyse von Wirkungen oder Möglichkeiten neuer Technologien allein klären lässt.
Begonnen wurde in 2014 mit dem Projekt „DEVENT ‑ Berufliche Entwicklung und Verwirklichungschancen für Arbeitnehmer in multinationalen Unternehmen in Frankreich und Deutschland“, das die Tradition international vergleichender Forschung fortführt und zugleich weiterentwickelt. Interessant ist dieses Projekt über die Bedeutung des Themas hinaus auch deshalb, weil es die Möglichkeit bietet, zwei bisher wenig integrierte Forschungslinien stärker zu verknüpfen: Arbeitssoziologische Betriebsfallstudien, die sich auf Handlungsfelder betrieblicher Arbeitspolitik ‑ in jüngerer Zeit bspw. alter(n)sgerechte Arbeitspolitik ‑ richten, mit der Capabilities-Perspektive, die nicht nur in der Sozioökonomischen Berichterstattung des SOFI eine wichtige Rolle spielt, sondern zudem ein subjektorientierter Ansatz der Analyse von Erwerbsarbeit ist. Eine Weiterentwicklung der international vergleichenden Forschung am SOFI ist dieses Projekt insofern, als es unter Aufnahme des Konzeptes „histoire croisée“ explizit auch nach Wechselwirkungen und Verflechtungen von Diskursen und Praktiken fragt.
Wandel von Produktions‑ und Innovationsmodellen
In der Forschungslinie der sozialwissenschaftlichen Innovationsforschung ist im Jahr 2014 das Projekt COLLIN fortgeführt worden. Es untersucht die innerbetriebliche Nutzung externer Wissensbestände in kollaborativen Innovationsprozessen. Das Projekt wird durch das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) aus Vorab-Mitteln der Volkswagen-Stiftung gefördert und erfolgt in einer Kooperation des SOFI mit Martin Heidenreich (Universität Oldenburg). Unternehmen öffnen sich in ihren Innovationsprozessen mehr und mehr nach außen und nutzen die Kompetenzen und Ressourcen externer Wissensproduzenten. Sie entsprechen damit immer weniger der traditionellen Vorstellung vornehmlich unternehmensintern organisierter Innovationsprozesse. Im Zentrum des Projekts stehen unterschiedliche Formen der Integration und Nutzbarmachung externen Wissens durch Unternehmen, die Gründe, aus denen bestimmte Formen gewählt werden, die Probleme, die damit jeweils verbunden sind, sowie Strategien von Unternehmen, mit diesen Problemen umzugehen. Während die Oldenburger Projektgruppe diesem Wandel im Bereich der erneuerbaren Energien und des Windanlagenbaus nachgeht, untersucht das Göttinger Teilprojekt im Rahmen von Unternehmensfallstudien kollaborative Innovationsprojekte im Bereich IT/Software. Das Projekt hat im Juli eine Mini-Konferenz „The institutional foundations of distributed and open innovation“ im Rahmen der SASE-Jahrestagung (Society für the Advancement of Socio-Economics) in Chicago durchgeführt. Klaus-Peter Buss berichtete über „Advantages of Weak Institutionalization in the Software Industry” und Heidemarie Hanekop und Patrick Feuerstein über „Institutional Foundations of the Open Source Software Ecosystem”.
Ebenfalls in der Innovationsforschung beheimatet ist die Dissertation von Klaus-Peter Buss, die 2014 bei Springer/VS erschien: „Mit ererbten Kompetenzen zu neuen Geschäftsmodellen. Ostdeutsche Betriebe auf dem Weg von der Plan‑ in die Marktwirtschaft“. Spätestens mit der Wirtschafts‑ und Währungsunion 1990 sahen sich die ostdeutschen Industrieunternehmen mit der Notwendigkeit konfrontiert, sich unter den für sie neuen marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu behaupten. Die Forschung betrachtet diese Industrietransformation vielfach als Prozess der Angleichung an den Entwicklungspfad der westdeutschen Industrie. Dabei wird allerdings übersehen, dass den ostdeutschen Unternehmen eine Angleichung vielfach nicht möglich war. Vielmehr waren sie darauf angewiesen, sich im Wettbewerb unter Nutzung der ihnen zur Verfügung stehenden, oftmals der untergegangenen DDR-Industrie entstammenden Kompetenzen neu zu positionieren. Klaus-Peter Buss geht in Fallstudien der Frage nach, ob und wie ostdeutsche Industriebetriebe an ererbte Kompetenzen anknüpfen konnten und wie sich dies in der sozialen Einbettung ihrer neuen Geschäftsmodelle niederschlägt.
Die Veröffentlichung hatte eine gewisse öffentliche Resonanz, die in den neuen Bundesländern besonders ausgeprägt war (Interview im „Neuen Deutschland“, Artikel in der Magdeburger „Volksstimme“, TV-Interview im MDR). Die Ergebnisse der Studie wurden aber auch im BMBF-Magazin 'Unternehmen Region' und bei einer Buchvorstellung in Berlin präsentiert. Nicht ganz alltäglich interessierte sich auch das koreanische Industrieministerium und ein zugeordnetes Forschungsinstitut KIET für die überraschenden Befunde, offenbar in Vorbereitung auf eine denkbare koreanische Wiedervereinigung.
Im Feld der Forschung zum Wandel des deutschen Produktionsmodells, die sich mit dem Ausmaß und den Effekten der Finanzialisierung befasst, wurde die Kooperation mit William Lazonick (USA, MA) fortgesetzt. Er leitet ein international vergleichendes Forschungsprojekt zu der Frage, wie Finanzinstitutionen gestaltet werden müssen, um nachhaltiges, beschäftigungsförderliches und „gerechtes“ Wachstum zu gewährleisten und die Innovationsfähigkeit von Wirtschaft und Unternehmen zu fördern. Das Projekt „Financial Institutions for Innovation and Development“ wird von der Ford Foundation (New York) finanziert und vergleicht die Erfahrungen von einerseits entwickelten kapitalistischen Ländern wie den USA, Japan, Deutschland und andererseits von „newly developing countries“ wie China, Brasilien und Indien (siehe unter: fiid.org/). Hierzu bringt es internationale Forscher auf Fachkonferenzen zusammen, die bislang in den USA, Brasilien und China stattfanden. Im November 2014 organisierte das SOFI in Kooperation mit der Hans-Böckler-Stiftung und der Ford Foundation (federführend William Lazonick) die Konferenz in Berlin, die den Vergleich der USA, Japans und Deutschlands in Zentrum rückte. Der US-Fall wurde auf der Konferenz mit den Entwicklungen in Deutschland und Japan kontrastiert. So diskutierten die aus den USA, Japan und Deutschland kommenden Experten über die Auswirkungen der Finanzialisierung auf Innovation und Innovationspolitik in diesen Ländern. Auch in der deutschen Debatte wurden anfangs über die Folgen der zunehmenden Finanzialisierung Befürchtungen geäußert, dass die Orientierung am Shareholder Value und der zunehmende Einfluss institutioneller Investoren die Innovationsfähigkeit der Unternehmen untergrabe und zur Wachstumsschwäche beitrage. Die neuere Forschung zeigt, dass dies differenzierter zu betrachten ist und dass es auch davon abhängt, was man jeweils unter Finanzialisierung versteht. Wie Jürgen Kädtler (SOFI) argumentierte, kann sich Finanzmarktrationalität (etwa in Gestalt von Zielvereinbarungen mit starker Ausrichtung an Finanzkennzahlen) auch in solchen Unternehmen innovationshemmend auswirken, die aufgrund der Eigentümerstruktur nicht besonders kapitalmarktexponiert sind, während in Unternehmen im institutionellen Streubesitz im Zusammenspiel von Management und Arbeitsnehmervertretung Kräfte gegen innovationshemmende Kurzfristorientierung wirksam werden. Generell sind die Finanzialisierungsimpulse in Deutschland begrenzt, weil der Sektor der börsennotierten Unternehmen begrenzt ist und selbst dort in vielen Fällen Ankerinvestoren (oft Familien oder ehemalige Gründer, in manchen Fällen auch der Staat) als Puffer gegen kapitalmarktinduzierte Kurzfristorientierung wirken. So machte Ulrich Jürgens (WZB Berlin) auf die stabilisierende Rolle von Stiftungsunternehmen aufmerksam, denen etwa in der deutschen Automobilzulieferindustrie mit bekannten Namen wie Bosch, ZF und Mahle eine große Bedeutung zukommt. Michael Faust (SOFI) zeigte am Beispiel von Beiersdorf und Hapag Lloyd, dass in Fällen unerwünschter Übernahmen neue Ankerinvestoren als Stabilitätsfaktoren mit aktiver Unterstützung durch den Staat als funktionales Äquivalent für die alte Deutschland AG ins Spiel kommen können. Hartmut Hirsch-Kreinsen und Katrin Hahn (TU Dortmund) gründeten ihre Unterscheidung zwischen finanzmarktorientierten und ‑distanzierten Innovationskonstellationen ebenfalls auf die Eigentümerstruktur, zeigten aber auch, dass selbst in Unternehmen in Kontrolle von Finanzinvestoren (Private Equity) unterschiedliche Effekte im Hinblick auf die Innovationsfähigkeit zu finden sind. Sowohl Jürgen Kädtler als auch Ulrich Jürgens strichen in ihren Beiträgen die Bedeutung der Mitbestimmung und der Gewerkschaften als Gegenkraft zu finanzmarktorientierter Kurzfristorientierung heraus, weil die Mitbestimmungsakteure andere Optionen im Spiel halten (etwa gemäß dem Slogan „Besser statt billiger“).
Als Ergebnis der langjährigen Forschung zur Bedeutung der Managementberatung, für die Globalität Notwendigkeit und Versprechen zugleich ist, ist 2014 das Buch „Globale Managementberatung“ erschienen. Die Beiträge von Michael Faust und Mitarbeitern zeigen am Beispiel der spezifischen Phase der internationalen Ausdehnung der Managementberatung nach Mittel-Ost-Europa nach 1990, dass die großen, schon internationalisierten Beratungsfirmen tatsächlich erhebliche Reputations‑ und Vernetzungsvorteile gegenüber den kleineren und mittleren Beratungsfirmen aufweisen. Aber auch kleineren und mittleren Firmen gelingen oft erste Internationalisierungsschritte, indem sie ihren vorhandenen Kunden in die neuen Länder folgen, seltener aber die echte Niederlassung. Der Vergleich zwischen dieser Expansionsphase nach der Öffnung Mitteleuropas und dem Regimewechsel in Spanien nach der Franco-Ära zeigt, dass die internationale Expansion sowohl von der institutionellen und kulturellen Aufnahmefähigkeit des Ziellandes als auch von der relationalen und strukturellen Einbettung vor allem über Kundenbeziehungen abhängt. Die Analyse der internen Steuerung der global tätigen Managementberatungen macht deutlich, dass das „Best Practice“-Versprechen vor allem eine gepflegte Rationalitätsfassade ist. Dies hat Konsequenzen auch für die kritische Management‑ und Beratungsforschung, die die globalen Beratungsfirmen als Agenten der „neoliberalen Heimsuchung“ charakterisiert. Dass auch große, börsennotierte Unternehmen ohne Berater auskommen (können), gibt schließlich Hinweise auf funktionale Äquivalente zur externen, kommerziellen Beratung, die international tätige Firmen entdecken und für organisationales Lernen fruchtbar machen können.
Empirische Ergebnisse und theoretische Überlegungen aus der in den vergangenen Jahren am Institut durchgeführten sozialwissenschaftlichen Energieforschung greift eine internationale Buchveröffentlichung zum Thema „Renewable Energies“ auf, an der Rüdiger Mautz vom SOFI als Autor beteiligt ist (Ko-Autor: Matthias Groß, Universität Jena/Helmholtz UFZ Leipzig). Das Buch erschien in der Reihe „Key Ideas“ bei Routledge. Rüdiger Mautz hat ferner im Rahmen von Vorträgen unterschiedliche Themenfelder der sozialwissenschaftlichen Energieforschung präsentiert; z.B. auf der „Second Energy & Society Conference“ in Krakau, in der Vorlesungsreihe „Institutionelle Veränderungen im deutschen Energiesystem“ an der Universität Stuttgart sowie bei den 7. Niedersächsischen Energietagen in Goslar.
Sozialmodell: Arbeit-Bildung-Lebensweise im Umbruch
Dass Teilhabe den gemeinsamen normativen Bezugspunkt der SOFI-Forschung zum Bildungs- und Beschäftigungssystem bildet, zeigte sich 2014 in einer Vielzahl unterschiedlicher Aktivitäten des Forschungsschwerpunkts. Im Mittelpunkt der Work-in-Progress-Tagung 2014 des SOFI, die vom Schwerpunkt vorbereitet wurde, standen Teilhabebarrieren im Bildungs- und Beschäftigungssystem. Der Keynote-Beitrag des SOFI, ein vorbereitendes SOFI-Arbeitspapier und die drei empirischen Themenblöcke der Tagung gingen der Leitfrage nach, welche normativen und methodischen Konsequenzen Teilhabe als Gleichheitsnorm individualisierter Gesellschaften für die Analyse von Lebensverläufen in segmentierten Arbeits- und Ausbildungsmärkten hat. Gleichberechtigte Teilhabe und Inklusion von Menschen mit Behinderung über alle Bildungsphasen hinweg bildete das Schwerpunktthema des Bildungsberichts 2014, an dem das SOFI als Teil der Autorengruppe Bildungsberichterstattung wieder maßgeblich beteiligt war. Im Werkstattgespräch „Über Teilhabe berichten“ am 4. und 5. Dezember stellte sich der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte und vom SOFI koordinierte Forschungsverbund „Dritter Bericht zur sozioökonomischen Entwicklung in Deutschland“ (soeb 3) mit seinem Konzept der Teilhabechancen der Diskussion mit anderen wissenschaftlichen und politischen Akteuren der Teilhabeforschung. Unter dem Titel „Inequality of What“ fragt auch eine „Mini-Conference“ des Verbunds soeb 3, die für die Jahrestagung 2015 der Society for the Advancement of Socio-Economics (SASE) akzeptiert wurde, nach den wohlfahrtstheoretischen Grundlagen von Messkonzepten für Ungleichheit und nach deren empirischer Umsetzung. In der wissenschaftlichen Begleitung dreier vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung geförderten Modellvorhaben eines „Integriertes Beratungsangebots für Alleinerziehende“ (IBA) wendete das SOFI-Evaluationsteam den „Göttinger Teilhabeansatz“ als qualitatives Evaluationsparadigma an.
Zwei qualitative Evaluationsaufträge zu Arbeitsmarktdienstleistungen wurden in 2014 abgeschlossen: die Untersuchungen zur Umsetzung der neuen Beratungskonzeption der Bundesagentur für Arbeit (BA) in den Arbeitsagenturen (SGB III) und zur Arbeitgeberbetreuung in Agenturen und Jobcentern. Die wissenschaftliche Begleitung der Einführung der BA- Beratungskonzeption in zwei Pilot-Jobcentern (SGB II) war bereits Ende 2013 im Wesentlichen abgeschlossen; der Abschlussbericht zur Evaluation des niedersächsischen Modellprojekts IBA (vgl. oben) wurde im Februar 2015 vorgelegt. Damit tritt für den Forschungsschwerpunkt die Aufgabe in den Vordergrund, den wissenschaftlichen Ertrag dieser und vorausgegangener Auftragsarbeiten zu Arbeitsmarktdienstleistungen zu sichern. Zum einen soll die in den SOFI-Studien weiter entwickelte Methode der fallrekonstruktiven Evaluation, die sich auf umfassende Beobachtung und Dokumentation der Fallbearbeitung in einzelnen Fällen stützt, dargestellt und reflektiert werden. Den Auftakt zu einer Reihe geplanter methodischer Veröffentlichungen bildete eine Präsentation auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Evaluation e.V. (DeGEval) gemeinsam mit der Schweizerischen Evaluationsgesellschaft (SEVAL) in Zürich im September 2014. Zum anderen ist die Entwicklung von Projektanträgen in Vorbereitung, in denen empirisches Material aus den Auftragsstudien unter eigenen Fragestellungen für eine systematische Gesamtdarstellung zur Dienstleistungsarbeit in der Arbeitsverwaltung reanalysiert werden soll.
Als deutscher Partner beteiligte sich das SOFI an einem erfolgreichen Projektantrag im Rahmen des EU-Forschungsprogramms Horizon 2020. Das Forschungsprojekt Re-InVEST, das ab März 2015 gefördert wird, setzt sich kritisch mit dem neuen EU-Leitkonzept „investiver“ Sozialpolitik auseinander. Die empirische Grundlage hierfür schafft eine Befragung von Krisenbetroffenen in einer Reihe europäischer Länder. Mit dem Anspruch, dass die Befragten die Ergebnisse der Forschung selbst mit reflektieren und beeinflussen können, will das Projekt neue Formate qualitativer Forschung erproben. Das SOFI übernimmt im Konsortium die qualitativen Erhebungen für Deutschland und die quantitativen Datenanalysen für alle einbezogenen Länder.
Mit einer Reihe von Projekten erweiterte der Forschungsschwerpunkt seine quantitative Methodenkompetenz und intensivierte die Nutzung quantitativer Mikrodaten. In der 2014 abgeschlossenen Längsschnittuntersuchung zur Benachteiligtenförderung im Übergang von Schule in Ausbildung wurden Sequenzmusteranalysen mit einem am SOFI erstellten Paneldatensatz durchgeführt. Für Jugendliche in Maßnahmen des sog. „Übergangssystems“ der Benachteiligtenförderung werden „erfolgreiche“ und „schulische“ Ausbildungsverläufe von fragmentierten Verläufen, Wechseln in Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit und längerfristigem Verbleib in Maßnahmen unterschieden. Das SOFI-„Übergangspanel“ wird derzeit in einem vom SOFI bearbeiteten empirischen Arbeitspaket des Verbundvorhabens soeb 3 zusammen mit Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS) zur Analyse von Ausbildungs- und Erwerbsmuster nachgenutzt. Im Arbeitspaket „Erwerbsverlauf und Altersübergänge“ des Berichtsvorhabens werden in Kooperation mit dem Forschungsdatenzentrum der Deutschen Rentenversicherung die Längsschnittdaten der „Vollendeten Versichertenleben“ für vier Rentenzugangsjahrgänge ausgewertet; auch hier werden deskriptive Auswertungen mit Sequenz- und Clusteranalysen kombiniert. Im soeb 3-Arbeitspaket „Teilhabe und Grundsicherung“, das in Kooperation mit dem Forschungsdatenzentrum der BA am IAB bearbeitet wird, führt das SOFI Analysen mit dem IAB-Panel Arbeitsmarkt und soziale Sicherung (PASS) und der Stichprobe der Integrierten Arbeitsmarktbiografien (SIAB) durch.
Die vom BMBF parallel zu soeb 3 geförderte Entwicklungsarbeit an einer virtuellen Forschungsumgebung (VFU), die die ganze Leistungskette der Nutzung quantitativer Sozial- und Wirtschaftsdaten unterstützt, wurde in 2014 mit einer fachöffentlichen Präsentation des Prototyps VFU soeb 3 abgeschlossen. Der Prototyp wird vom Verbundvorhaben soeb 3 operativ genutzt. In Kooperation mit den Entwicklungspartnern, u.a. der Gesellschaft für wissenschaftliche Datenverarbeitung mbH Göttingen (GWDG), des Leibniz-Instituts für Sozialwissenschaften e.V. (GESIS), der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek (SUB) und beteiligter Forschungsdatenzentren, wird derzeit ein Betriebsmodell erarbeitet, nach dem andere empirische Forschungsvorhaben die VFU nutzen können. Ein gemeinsamer Antrag der Entwicklungspartner zur Erweiterung der VFU um ein Modul zum Fernzugriff auf Daten von Dateneinrichtungen, die beim Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD) akkreditiert sind, wurde Ende 2014 bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gestellt und wird derzeit begutachtet.