Brüchige Legitimationen - neue Handlungsorientierungen? Gerechtigkeitsansprüche und Interessenorientierungen in Arbeit und Betrieb vor dem Hintergrund von Krisenerfahrungen
Projektinhalt
Ausgangspunkt
Für viele Beschäftigte gilt, dass sie sich bereits seit längerem mit Krisenbedingungen in ihrem betrieblichen Arbeitsalltag auseinandersetzen müssen. Dies umfasst nicht nur die kurz- und mittelfristigen Folgen der jüngsten Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise sowie der sich abzeichnenden Währungskrise in Europa. Möglicherweise stärker noch wirken die verbreiteten Erfahrungen einer „permanenten Krise“ auf betrieblicher Ebene: Im Kontext anhaltender Restrukturierungsprozesse und steigendem Kostendruck, der Alltäglichkeit internationaler Verlagerungsoptionen sowie erhöhten Leistungsanforderungen und berufsbiographischen Unsicherheiten. Für Viele ist der Umgang mit ökonomischen und organisationalen Krisensituationen, mit Personalabbau und beruflichen Neuorientierungserfordernissen eine sich ständig aktualisierende Herausforderung in ihrem Erwerbsleben.
Dass es in Folge der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise zu massiven Legitimationsverlusten des politisch-ökonomischen Systems gekommen ist, zeigen zahlreiche Umfrageforschungen. Demgegenüber ist wenig darüber bekannt, welche Ansprüche auf Legitimität und Gerechtigkeit Männer und Frauen bezogen auf das konkrete Handlungsfeld Arbeit und Betrieb vor dem Hintergrund ihrer Krisenerfahrungen formulieren. Gerade hier geht es aber nicht mehr um nur allgemeine unverbindliche Vorstellungen oder Einstellungen, sondern um erfahrungsbasierte und wirksame Handlungsorientierungen, die praktisch verankert sind und sich in diesem besonderen Handlungsfeld immer wieder zu bewähren haben.
Fragestellung
Das Forschungsprojekt fragt daher danach, welche Ansprüche und Gerechtigkeitsnormen Beschäftigte vor dem Hintergrund von betrieblichen und gesellschaftlichen Krisenerfahrungen geltend machen und welche Handlungsorientierungen damit verbunden sind. Ins Zentrum rückt sie dabei im Unterschied zur Demoskopie die nachweisbar handlungsrelevanten Legitimations- und Gerechtiggkeitsansprüche von Beschäftigten.
Gefragt wird zum einem nach dem Charakter und den Veränderungstendenzen von Beteiligungsansprüchen in Arbeit und Betrieb („prozedurale Legitimation“). Einige der Leitfragen lauten:
- Welchen Status betrachten die Beschäftigten vor dem Hintergrund der Prozesse der Krisenverarbeitung für sich selbst als Akteure als angemessen und gerecht?
- Welche Auswirkungen haben unterschiedliche Praxiskonstellationen und erfahrene Krisenverläufe auf die Beteiligungsansprüche der Beschäftigten?
- Welche Erfahrungen haben die Beschäftigten mit Beteiligungskonzepten von betrieblicher und gewerkschaftlicher Seite gemacht?
- Wo wünschen sie direkte Teilhabe an Innovations- und Entscheidungsprozessen, wo setzen sie auf klassische Verfahren betrieblicher Interessenvertretung?
- An welche Voraussetzungen ist die aktive Einbindung von Beschäftigten gebunden?
Den zweiten Schwerpunkt bilden die Ergebnisansprüche der Beschäftigten („Output-Legitimation“) in Bezug auf konkrete Politikfelder (Beschäftigungs- und Entgeltsicherung, Arbeitszeit, Leistung und Belastung, Arbeitsgestaltung, betriebliche Innovationspolitik). Zentrale Fragen lauten hier:
- Wie bewältigen sie die individuellen und betrieblichen Unsicherheiten?
- Welche Ansprüche formulieren sie in konkreten Politikfeldern des Unternehmens?
- Welche Bewertungsmuster im Hinblick auf die Verteilung von Anforderungen und Erträgen, von Belastungen und Handlungsmöglichkeiten lassen sich finden?
- Auf welche normativen Prinzipien greifen Männer und Frauen bei diesen Bewertungen zurück?
Forschungsdesign
Die Untersuchung folgt einem qualitativ-interpretativen Design. Im Mittelpunkt der empirischen Erhebungen stehen Interviews und Gruppendiskussionen mit insgesamt ca. 500 Beschäftigten in 18 Unternehmen aus Industrie und Dienstleistungen. Dadurch werden kontrastierende Handlungsbedingungen und Beteiligungsformen in einem weiten Branchen-, Betriebs- und Beschäftigtenspektrum abgedeckt. Der betrieblichen Empirie sind Expertenbefragungen zur jeweiligen Branchenentwicklungen sowie eine quantitative Breitenerhebung („Querschnittsanalyse“) vorgeschaltet.
Im Einzelnen:
- Querschnittsanalyse: Interviews mit Branchenexperten und quantitative Befragung von Interessenvertreter/innen
- Konstellationsanalysen: Experteninterviews in diesen 18 Unternehmen
- Anspruchsanalysen: Qualitative Interviews und Gruppendiskussionen
Zehn Branchen werden einbezogen:
- Automobilindustrie
- Chemische Industrie
- Maschinenbau
- Elektroindustrie
- Bauwirtschaft
- Finanzdienstleistungen
- Industrielle Dienstleistungen
- Einzelhandel
- Wissensintensive Dienstleistungen
- Öffentlicher Dienst
Das Projekt wird gemeinsam mit dem Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) München durchgeführt.
Laufzeit: 01.09.2012 - 31.10.2014