Arbeit und Beschäftigung

Projektteam:

Prof. Dr. Wittke, Volker; Lanfer, Carmen M.A. ; Dr. Wittemann, Klaus Peter

 

Zielsetzung des Teilprojektes und Ablauf

Das Teilprojekt zielte auf die Untersuchung der Auswirkungen des Internet auf Arbeit und Beschäftigung in der Medienbranche. Die Medienbranche gilt als besonders anfällig für Veränderungen durch das Internet, da ihre Produkte weitgehend in digitalisierter Form hergestellt und elektronisch verbreitet werden. Das Teilprojekt zielte zum einen darauf ab, gesicherte und möglichst detaillierte Informationen über die quantitativen Auswirkungen des Internet auf Arbeit und Beschäftigung in der Medienbranche bereitzustellen. Zum andern ging es um die Analyse der Veränderung der Branchenstruktur; die Frage war hier insbesondere, wie weit die Desintegration traditioneller Wertschöpfungsstrukturen reichen und welche neuen Akteurskonstellationen sich herausbilden würden. Schließlich hat das Teilprojekt danach gefragt, in welcher Weise sich neue Formen internetbasierter von traditioneller Arbeit in der Medienbranche unterscheidet und sich damit die Frage gestellt, welche Tätigkeitsprofile und Qualifikationsanforderungen für Medienarbeit der Zukunft charakteristisch sein würden; im Mittelpunkt dieser Fragestellung stand die Content-Produktion. Im Einzelnen wurden folgende Aufgabenschwerpunkte bearbeitet:

  • Entwicklung eines Branchenkonzepts als Beobachtungsrahmens für die Analyse der quantitativen Auswirkungen des Internet auf Arbeit und Beschäftigung.
  • Sekundäranalysen von Daten zur Beschäftigtenentwicklung aus unterschiedlichen Quellen (BA, Künstlersozialkasse, Landesmedienanstalten).
  • Analyse der Veränderung von Branchenstrukturen in der Medienbranche (Entwicklung des analytischen Instruments der Medienfunktionskette zur Identifikation und Klassifikation der Auswirkungen des Internet auf die Branchenstrukturen).
  • Fallstudien zur Analyse der qualitativen Auswirkung des Internet auf Medienarbeit (Schwerpunkt: Content-Produktion)

Überblick über die Projektergebnisse

1. Ergebnisse zur quantitativen Beschäftigtenentwicklung

Branchenabgrenzung: Bei der Medienbranche handelt es sich um ein Feld, für das keine allgemein gültige oder verbindliche Branchendefinition vorliegt. Von daher existiert auch keine kontinuierliche Berichterstattung über die Beschäftigungsentwicklung der Branche. Für die Zielsetzung des Teilprojekts haben wir eine eigene Branchenabgrenzung in zwei unterschiedlichen Varianten entwickelt. Ein enges Branchenkonzept umfasst den Kernbereich der auf die Produktion und Verbreitung von Medieninhalten ausgerichteten Wirtschaftszweige: Printmedien, Rundfunk- und Fernsehwirtschaft, Filmbranche, Musik, Werbung, Korrespondenz  und Nachrichtenbüros sowie selbständige Journalisten. Ein weites Branchenkonzept schließt darüber hinaus die Wirtschaftszweige mit ein, die sich mit der Aufbereitung und Verbreitung von Medieninhalten auf neuer technischer Grundlage beschäftigen: Telekommunikationsdienste, Softwarehäuser, Datenbankanbieter und -dienstleister. Die Abgrenzung der Medienbranche nach beiden Branchenkonzepten beruht auf einer feinkörnigen Zuordnung von Wirtschaftszweigen auf der Ebene der 5-stelligen Untergliederung der Wirtschaftszweigsystematik; die entsprechenden Daten wurden jeweils durch Sonderauswertungen der Beschäftigtenstatistik der Bundesagentur für Arbeit bereit gestellt. Angesichts des mit dem Internet einhergehenden Wandels in der Produktions- und Übertragungstechnologie medialer Inhalte spräche zwar im Prinzip vieles für die Verwendung eines Branchenkonzeptes, welches die Nutzung dieser Technologien mit einbezieht. Allerdings stößt dies auf kaum lösbare Abgrenzungsprobleme. Nimmt man die Beschäftigtenentwicklung nach dem weiten Branchenkonzept als abhängige Variable der Auswirkungen des Internet, leidet die Aussagekraft stark darunter, dass die Aufbereitung und Verbreitung medienspezifischer Inhalte hier selbst in der tiefsten verfügbaren Untergliederung von Wirtschaftszweigen besonders schwer von anderen Verwendungen (Sprach- und Datenübertragung für andere Zwecke; Softwareentwicklung und Datenbanken für kommerzielle und industrielle Anwendungen) zu unterscheiden ist. Wir haben die Entwicklung der Beschäftigten gleichwohl nach beiden Branchenkonzepten ausgewertet, weil in anderen Veröffentlichungen zu verwandten Themen (etwa zur „Internet- und Multimediabranche“) mit Branchenabgrenzungen operiert wird, die eher dem weiten Branchenkonzept vergleichbar sind. Hier sollte die Anschlussfähigkeit hergestellt und eine Vergleichbarkeit der Entwicklung ermöglicht werden.

Beschäftigtenentwicklung: Die Entwicklung der Beschäftigtenzahlen in der Medienbranche zeigt einen starken Anstieg bis 2001, dem Höhepunkt des ersten Internetbooms, an den sich ein nahezu ebenso starker Rückgang bis 2004/05 anschließt. Folgt man dem engen Branchenkonzept, dann unterschreitet die Zahl der in der Medienbranche Beschäftigten in den Jahren nach 2001 das vor dem Internetboom erreichte Niveau um gut 7 Prozent, folgt man weiten Branchenkonzept verbleibt die Beschäftigung auch nach dem Internetboom oberhalb des Ausgangsniveaus und steigt seit 2004 sogar wieder leicht an.

Auswirkungen des Internet: Bei der Interpretation der Beschäftigtendaten ist zu beachten, dass die Entwicklung nicht allein auf den Einfluss des Internet zurückgeht, sondern durch die allgemeine konjunkturelle wie auch die branchenspezifische wirtschaftliche Entwicklung in diesem Zeitraum (vor allem die sog. Werbekrise seit 2002) überlagert ist. Vor allem der dachförmige Verlauf der Beschäftigung ist auf diese anderweitigen Ursachen zurückzuführen.

Auch soweit die Beschäftigungseffekte vom Internet induziert sind, sind diese keineswegs einheitlich. Das Internet trifft bei den Medien auf eine Branche, die sich historisch zunächst um eine Produkttechnologie, den Druck, entwickelt hat, und in ihrer aktuellen Gestalt zusätzlich Audio- und Videoprodukte nach dem Sender(Broadcast)- oder Datenträgermodell umfasst. Für alle Bereiche gilt, dass das Internet sowohl als Produktions- als auch als Rationalisierungstechnologie genutzt werden kann; dies ist dort besonders effektiv, wo die Medieninhalte durch einen vorgängigen Entwicklungsschub in digitaler Form vorliegen; die Erstellung der Medienendprodukte gewinnt hierbei neue räumlich-zeitliche Spielräume. Dort wo sich etablierte Nutzungsformen an den Grenzen bisheriger Produkttechnik gerieben haben, führen neue technische Lösungen zu sprunghaften Verschiebungen in der Medienbranche, wie beispielsweise bei Audiomedien (von der CD zum Download); dort, wo sich eine neue Nutzungspraxis erst in einem Suchprozess herausbilden muss, kommt es zum einem Nebeneinander von gebrauchswertäquivalenten alten und neuen Produkten (etwa Zeitung und Online-Zeitung), oder es entstehen neue Produkte, die kein Vorläuferprodukt haben, wie etwa YouTube. Internetbasierte Produkte ergänzen herkömmliche Lösungen, in anderen Fällen kommt es zu (in unterschiedlichen Zeitspannen) Produktsubstitutionen, oder es treten Online-Produkte zusätzlich neben vorhandene Angebote.

In den Daten kommt zum einen der auch quantitativ relevante Bedeutungszugewinn von Dienstleistungen zum Ausdruck, welche die technischen Voraussetzungen für Internetkommunikation zur Verfügung stellen. Allerdings lassen sich diese Dienstleistungen, wie bereits betont, nicht sauber von anderen IuK-Dienstleistungen trennen; zudem dienen selbst der Internetkommunikation zurechenbare Dienstleistungen (gerade als Folge der Verallgemeinerung von Internetkommunikation) nicht ausschließlich der Verbreitung von Medienprodukten. Vom Internet ausgehende Substitutionseffekte betreffen besonders das Druckgewerbe, in dem die Beschäftigung kontinuierlich (insgesamt um über 20 Prozent seit 1999) zurückgegangen ist. Das Druckgewerbe ist nicht nur direkt (durch den Ersatz von Papier durch elektronische Medien), sondern auch indirekt vom Internet tangiert, nämlich durch die Verlagerung der Werbung in die elektronischen Medien.  

Fokussiert man die Betrachtung auf die in besonderer Weise mit der Erstellung von Medien-Inhalten befassten Wirtschaftszweige (d.h. auf das enge Konzept der Medienbranche unter Ausschluss des Druckgewerbes), dann hat sich die Beschäftigung seit 1999 sehr viel weniger stark verändert als in der Medienbranche insgesamt. Die Beschäftigung im Bereich der Content-Produktion nahm zwischen 1999 und 2006 leicht um 0,4% zu, wohingegen sie in der Medienbranche insgesamt um 8,3% abnahm. Dass das neue Medium so gut wie nicht zum Wachstum von Beschäftigung in der Content-Produktion beigetragen hat, hängt auch damit zusammen, dass die Produktion von Online-Medien vielfach nicht in die etablierten Mediengeschäftsmodelle passt und neue Internetgeschäftsmodelle (noch?) nicht in Sicht sind. Wo die bisherigen Medien sich in erheblichem Maße auf Verkaufserlöse gestützt haben, die über ein Onlineangebot faktisch nicht realisiert werden können, limitiert dies die Ausbreitung des Online-Sektors der Medienbranche. Auf der anderen Seite ist nicht zu übersehen, dass Online-Produkte ohne erwerbswirtschaftliche Grundlage herkömmliche Produkte durchaus beeinträchtigen können. Dabei sind neben den Online-Aktivitäten der gebührenfinanzierten Sender auch an solche Online-Produkte wie Wikipedia zu nennen, die etablierten Angeboten (Brockhaus) das herkömmliche Geschäftsmodell entzogen haben. Die nicht-gewerbliche Produktion von Medieninhalten ist aber in Beschäftigtendaten nicht erfasst.

Insgesamt deuten die o.a. Zahlen darauf hin, dass sich die Auswirkungen des Internet auf Arbeit und Beschäftigung in der Medienbranche, anders als vor einigen Jahren vielfach vermutet, nicht in erster Linie in quantitativen Veränderungen der Beschäftigung niederschlagen, sondern vor allem in qualitativen Veränderungen der Arbeit von Beschäftigten in der Medienbranche.

2. Ergebnisse zu den qualitativen Veränderungen von Medienproduktion und Arbeit

Wir haben die qualitativen Auswirkungen des Internet auf Medienarbeit exemplarisch an der Erstellung und Aufbereitung von Nachrichten als Medieninhalt untersucht. Die Referenzfolie für die Analyse neuer Formen der Content-Produktion im Internet bildeten dabei Print-Produkte. Mit dieser Perspektive haben wir uns nicht so sehr für die Effekte des Internet als Hilfs- und Produktionsmittel interessiert (diese Effekte betreffen die Content-Produktion unabhängig von der Art der Distribution, also auch klassische Print-Produkte), sondern für die Besonderheiten des Internet als Medium.

Fragt man nach dem spezifisch Neuen von Medienarbeit im Internet, dann liegt der Ansatzpunkt hier in den Ausstrahlungseffekten, welche die Eigenheiten der Distributionstechnologie auf die Content-Produktion haben. Die massenmediale Verbreitung von Nachrichten war in der Vergangenheit im Umfang und ihrer zeitlichen Struktur her wie auch räumlich limitiert. Print-Produkte haben klar begrenzte Seitenzahlen, Rundfunk- und Fernsehsender begrenzte Sendezeiten. Ein wesentliches Charakteristikum herkömmlicher Formen von Content-Produktion besteht daher darin zu entscheiden, welche Nachrichten in einem Medium (genauer gesagt: in einem bestimmten Format – etwa dem Politikteil einer Tageszeitung oder der Hauptnachrichtensendung eines TV-Senders) veröffentlicht werden. Wir nennen diese Funktion Gatekeeping, die differenziert von Redakteuren, Ressortleitern, dem Chef von Dienst und dem Chefredakteur umgesetzt wird und jeweils nur einen Teil ihrer Arbeitsaufgaben ausmacht. Auf Grundlage herkömmlicher Distributionstechnologien bestand Nachrichtenvielfalt in demokratisch verfassten Gesellschaften darin, zwischen verschiedenen Gatekeepern zu wählen und mehrere parallel nutzen zu können. Was sich aber durch das Internet geändert hat, ist der Fakt, dass die Publikation von Medieninhalten nicht mehr an die Verfügung über Distributionstechnologien (Druckerei, Rundfunk- und Fernsehsender) gebunden und durch die Eigenheiten dieser Technologien (räumlich, zeitlich) limitiert ist. Im Internet kann jede/r Anbieter von Inhalten nahezu beliebig viel publizieren, und jeder Internetnutzer kann auf diesen Content zugreifen. Damit entstehen grundlegend neue Handlungsbedingungen für die Gatekeeper: sie können leichter umgangen werden, insofern verlieren sie ihre bisherige starke Position. Dennoch bleiben Gatekeeper für die Internetnutzer von Interesse, bieten sie doch eine professionelle Selektionsdienstleistung an, die viele Nutzer nicht selbst erbringen wollen oder können. Gestützt auf Suchmaschinen können die Nutzer zwar selbst selektieren, jedoch erfordert dies inhaltliche Kompetenz und Zeit, so dass die Eigenselektion in der Regel auf besondere Themen beschränkt bleibt. Im Normalfall greifen Nutzer auf fremde Selektionsangebote zurück, von denen eine große Zahl im Internet zur Verfügung stehen, und zwar bequem und kostengünstig.

Die Ergebnisse unserer Fallstudien zeigen, dass das Spezifische der die Produktion von Medien-Content im Internet sich analytisch als (Neu-) Gestaltung der Gatekeeping-Funktion fassen lässt. Diese Neugestaltung trägt dem Umstand Rechnung, dass mit dem Internet weitere sachliche, zeitliche und räumliche Limitierungen für die Content-Produktion entfallen, die sich traditionell aus Einschränkungen der klassischen Distributionstechnologie ergeben haben. Mit dem Internet werden dabei vor allem die Formate wie die zeitliche Struktur der Medienprodukte zur Variablen. Darüber hinaus wird auch das Verhältnis von Produzenten und Rezipienten zur Variablen, da die Gestaltung der Gatekeeping-Funktion auch auf veränderte Verhaltensweisen von Mediennutzern reagiert. In unseren Fallstudien konnten wir dabei eine offensive und eine defensive Gestaltungsvariante der Gatekeeping-Funktion unterscheiden.

 

[Zum Stand des Projektes: Ergebnisbericht Juni 2006]

 

Veröffentlichungen (Downloads unter Publikationen):

Lanfer, Carmen; Marquardsen, Kai (2005):
Internet und Beschäftigung: quantitative Effekte in der Medienbranche. In: Göttinger Schriften zur Internetforschung Band 1. Universitätsverlag Göttingen. 

Lanfer, Carmen ; Marquardsen, Kai (2005): Internet und quantitative Beschäftigungseffekte in der Medienbranche: zur Beschäftigungsentwicklung in den Jahren 1999-2004. In: SOFI-Mitteilungen Nr.33, Göttingen.

 

Forschungsschwerpunkte

  • Quantitative Befunde: Medientechnik und Distributionstechnik berühren Arbeit und Beschäftigung
  • Internet als Arbeits- und Organisationstechnik: Ein neues "Wie der Produktion"
  • Internet als Produkttechnik: Ein neues "Was der Produktion" - Contenterstellung im Fokus
  • Neukonfiguration der Medien-Funktionskette und der Auftritt neuer Akteure
  • Alte und neue Produzenten von Online-Inhalten: Journalisten, PR-Leute und "professionelle Amateure"
  • Medientechnik und Medieninhalt: Auf dem Wege zu einem neuen Medienmix