Begleitforschung Handy-TV
Mobiles Fernsehen
Projektteam:
Dipl.-Sozw. Heidemarie Hanekop, Dipl.-Sozw. Andree Schrader
Projektverantwortlich:
Prof. Dr. Volker Wittke
Gefördert durch:
Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) (2006; 2007-2008)
Seit Beginn des Jahrzehnts gab es große Fortschritte in der Entwicklung leistungsfähiger mobiler (d.h. drahtloser) Übertragungstechnologien, allerdings zeichnete sich auch 2005/06 noch immer keine Anwendung ab, die die erwartete Diffusionsdynamik bei Nutzern entfaltet hätte. In dieser Situation setzten Teile der Mobilfunk- und Medienbranche große Erwartungen darauf, das Massenmedium Fernsehen mit seinen attraktiven Inhalten auf Handys zu migrieren. Denn Fernsehen würde damit überall und jederzeit möglich, sodaß seine Nutzung ausgedehnt oder auf mobile Endgeräte verlagert würde. Die Fußball WM in Deutschland 2006 erhöhte den Anreiz zur Einführung. Technisch gab es unterschiedliche Lösungen (neben UMTS auch zwei mobil empfangbare TV-Technologien: DVB-H und DMB-T), die allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht breitflächig einsetzbar waren und zudem von konkurrierenden Akteurskonstellationen betrieben wurden. Auch bezogen auf die Gestaltung des inhaltlichen Angebots gab es eher vage und unterschiedliche Vorstellungen: sollte man die bekannten Programme eins-zu-eins aufs Handy übertragen oder neue, an die kleinen Endgeräte angepaßte Programme und Inhalte kreieren?
In dieser Situation, die durch hohe Unsicherheit, „vergleichweise „unfertige“ Angebote und komplizierte Akteurskonstellationen gekennzeichnet war, initiierte die Bayerische Landeszentrale für neue Medien ein Pilotprojekt, in dem das SOFI die begleitende Nutzerforschung durchführte. Als Übertragungstechnologie wurde die für Handys angepasste TV-Übertragungstechnologie (DMB-T) eingesetzt. Als Programmangebot wurden TV-Kanäle eins-zu-eins vom klassischen TV auf das mobile TV übernommen, darunter ARD und ZDF, ein News- und ein Musik-Spartenkanal. Daneben gab es als besondere mobile Inhalte aus dem Angebot eines großen Privatsenders, sowie experimentelle lokale Programme.
Das Konzept der Begleitforschung basiert auf drei Prinzipien, die Design, Methoden und konkrete Durchführung prägen: Einbeziehung der Nutzer bzw. Kunden in den Entwicklungsprozess zu einem möglichst frühen Zeitpunkt; Nutzungsstudien mit Testnutzern unter Alltagsbedingungen, die es diesen ermöglichen eigene Erfahrungen im Alltag und über einen längeren Zeitraum zu machen, sowie die Integration der Nutzerforschung in den Entwicklungsprozeß mit ständiger Rückkopplung der Ergebnisse an die Projektpartner. Begleitforschung versteht sich hierbei als Vermittler zwischen den Entwicklern und Anbieterunternehmen einerseits und den zukünftigen Nutzern andererseits, die das neue Medienangebot üblicherweise nicht in diesem frühen Entwicklungsstadium ausprobieren und ihre Meinung dazu einbringen könnten. Dieses Verständnis von Begleitforschung rekurriert auf neue Konzepte zur Organisation von Innovationsprozessen, die unter dem Label „Open Innovation“ diskutiert werden. Die Ergebnisse fließen darüber hinaus in die übergeordnete Forschungsfrage nach der Wechselwirkung von neuen (mobilen) Nutzungsformen und der innovativen Anwendungen ein (siehe dazu das Projekt „Mobiles Internet: Entstehung neuer Nutzungsformen“ im Kontext des Verbundes Mediaconomy).
Das Design basiert auf der Organisation und Durchführung von Nutzungstests über mehrere Wochen oder Monate, in denen Testnutzer mobiles Fernsehen empfangen und im Alltag ausprobieren können. Entsprechende Handys wurden den Teilnehmern leihweise überlassen, Übertragungstechnik und Programme kamen von den Projektpartnern von MI FRIENDS. Während der Nutzungstests wurden Bewertungen, Erfahrungen und Anregungen der Teilnehmer mit teilstandardisierten Fragebögen (Online, per Post oder vor Ort) regelmäßig und wiederholt erhoben. Als zweites, qualitatives Instrument wurden Fokusgruppen eingesetzt. Fokussiert auf ein bestimmtes Thema wurden jeweils 8-10 Gruppengespräche mit je 5-8 Testteilnehmern durchgeführt. Das dritte Instrument zur Erfassung der Nutzung waren Tagesprotokolle über die Nutzung an 2-3 konkreten Tagen (in Bezug auf Zeitpunkt, Dauer, Sender, Inhalt, Situation). Zudem wurde während des gesamten Tests ist ein enger Kontakt zwischen dem Begleitforschungsteam und den Teilnehmern hergestellt, über eine Webplattform wurden Informationen und ein Forum angeboten, über das Teilnehmer miteinander kommunizieren konnten.
Es wurden zwei Nutzungsstudien durchgeführt. Die erste fand in München während und nach der Fußball Weltmeisterschaft (WM) 2006 mit 190 Teilnehmern statt. Sie begann unmittelbar vor der WM Anfang Juni und endete Anfang August 2006. Hier wurde allen Teilnehmern ein zu diesem Zeitpunkt noch prototypisches TV-Handy leihweise überlassen. Die Geräte wurden am Ende der Studie (nach 8 Wochen) wieder eingesammelt. Die zweite Nutzungsstudie fand in Regensburg mit 96 Teilnehmern über eineinhalb Jahre statt. Sie startete Mitte Juni 2007, lief bis Sommer 2008.
Nutzerstudie München (2006):
Unter der Regie der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (im europäischen Projektverbund MI FRIENDS) führte das SOFI eine Begleitforschungsstudie mit 200 Teilnehmer durch. Diese wurden für sieben Wochen mit TV-fähigen Handys ausgestattet und konnten damit das TV-Programm von ARD, ZDF, BR, N24, MTV und lokaler Anbieter nutzen. Die Erfahrungen der Teilnehmer wurden in insgesamt vier Befragungen, Fokusgruppengesprächen und Tagesverlaufsprotollen erhoben und ausgewertet.Die Ergebnisse der Studie zeigen das Spannungsverhältnis indem sich die Anwendungsentwicklung hier bewegt: Anwenderinteressen sind einerseits durch das Fernsehens zuhause (normales TV-Programm, free TV, Bedienung per Knopfdruck, Zappen statt Navigation), andererseits erweisen sich mobile Nutzungskontexte als neue Erfahrung, aus denen auch neue Anforderungen erwachsen.
Inhaltsverzeichnis und Executive Summary der Ergebnisse "Handy-TV" München
Ergebnisse, Vortrag, München 2006 (engl.)
Der Bericht ist in der Schriftenreihe der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) erschienen: DMB-Projekt MI FRIENDS – Ergebnisse der Begleitforschung München. BLM Schriftenreihe Band 86, Fischer Verlag München 2007.
Nutzerstudie Regensburg (2007-2008):
Von Mai 2007 bis Juli 2008 führt das SOFI im Projektverbund MI FRIENDS eine weitere Nutzerforschung mit 100 Teilnehmern in Regensburg durch. Hier sollen neue Endgeräte, neue Programmangebote und neue Dienste für mobiles Fernsehen entwickelt und mit den Teilnehmern zusammen getestet werden.
Das MI FRIENDS Subprojekt wurde am 28.09.06 in Regensburg gestartet und soll bis 31.07.08 dauern. Hier bieten sich aufgrund der demografischen und sozioökonomischen Situation von Regensburg mit rund 130.000 Einwohnern in der Stadt selbst und weiteren 170.000 im Umland für die begleitende Marktforschung vielversprechende Rahmenbedingungen. Von zwei Sendestandorten werden für das MI FRIENDS Projekt ab Ende April 2007 insgesamt drei T-DMB-Video- und ein sogenanntes Visual-Radio-Programm, d.h. ein Hörfunkprogramm erweitert um Einzelbilder, ausgestrahlt. Zusätzlich besteht die Möglichkeit nach Absprache das Bouquet des kommerziellen DMB-Anbieters MFD unverschlüsselt zu empfangen.
Das Projekt MI FRIENDS verfolgt in seinem Subprojekt Regensburg zwei Hauptziele. Einerseits soll die technische Entwicklung des Übertragungssystems vorangetrieben werden und dabei sollen technische Zusatzdienste neuen Mehrwert für den Mediennutzer generieren. Zu nennen sind als technische Primärziele vor allem die Erarbeitung und technische Integration von Interaktivität in das Programmangebot, die Entwicklung eines personalisierten, zeitunabhängigen Portals für die Inhalte (Tagging) sowie die Entwicklung einer elektronischen Programmzeitschrift (EPG). Als technische Sekundärziele gelten die Tests auf Interoperabilität verschiedener Übertragungssysteme (T-DMB und DVB-H).
Das zweite Hauptziel ist die Entwicklung von linearen und interaktiven Programmen, welche die Anforderungen und Wünsche mobiler Rundfunknutzer berücksichtigen. Hierbei sollen einerseits bestehende Inhalte auf ihre Eignung für das mobile Medienumfeld geprüft und ggf. angepasst werden und andererseits auch völlig neue Formate und Inhalte entwickelt und getestet werden.
Aufgaben der Nutzerforschung und Ziele
Die Nutzerforschung wird im Pilotprojekt ist als elementarer Bestandteil für die Erfüllung sowohl inhaltlicher als auch technischer Ziele angesehen. Parallel zur Entwicklung sollen in einem iterativen Prozess Erkenntnisse aus den Befragungen di-rekt wieder an die Entwickler zurückgehen bis zur fertigen Ausmodellierung des Produkts. Zusätzlich ist ein wesentlicher Aspekt der Nutzerforschung die Unterstützung der Öffentlichkeitsarbeit des Projekts durch Aufbereitung von Daten für Pressekonferenzen, Messen etc.
Ergebnisse:
Die Nutzertests ergaben zwei zentrale Befunde. Erstens zeigten sich die Teilnehmer vor allem daran interessiert auf dem Handy das klassische Spektrum von TV-Sendern und -Formaten, darunter nach Möglichkeit natürlich auch der eigene Lieblingssender zu schauen. Neuen Angeboten „on Top“ stehen die Probanden zwar nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber, aber diese Angebote konkurrieren mit den etablierten TV-Marken. Interesse am mobilen Fernsehen (vor allem in der ersten Testphase und insbesondere während der Fußball WM) geht wesentlich auf die Attraktivität der klassischen TV-Inhalte zurück und den Wunsch, auch unterwegs darauf zugreifen zu können. Allerdings ist die tatsächliche Nutzung im Projektverlauf gesunken. Dies lag vor allem daran, daß sie beim mobilen Fernsehen Nutzungsmuster entwickelten, die mit dem herkömmlichen TV-Programmangebot nicht zu verwirklichen sind. Denn anders als beim klassischen TV-Konsum sind die Nutzungszeiten kürzer, über den Tag verteilt in kleine Zeitsequenzen zerlegt und dem individuellen Tagesrhythmus unterworfen. Dominante Motive für die Nutzung von mobilem Fernsehen sind Wartezeiten auszufüllen bzw. sich dabei „die Zeit zu vertreiben“. Diese Motive korrespondieren mit den Situationen, in denen mobiles Fernsehen in den Pilotprojekten genutzt wurde: Vor allem unterwegs (im Bus, zu Fuß oder auch im Auto), in Pausen oder in Wartesituationen.
Dieser Widerspruch zwischen dem generellen Interesse an den bekannten Fernsehinhalten einerseits und mobilen Nutzungsformen andererseits könnten neue technische Features überbrücken. Solche Applikationen wurden auch ansatzweise im Projekt (und anderswo) entworfen (z.B. das Konzept des Tagging von TV-Inhalten). Diese und andere innovative Entwicklungen scheiterten nicht zuletzt an den schwierigen Akteurskonstellationen in diesem Feld zwischen (nationaler) TV-branche, Mobilfunkbetreibern und Handyherstellern. Neue Medien für die mobile Nutzung erfordern neben grundsätzlich attraktiven Inhalten – so ein zentrales Ergebnis des Projektes – innovative Dienste und Anwendungen, die mobile Nutzungspraxen von Nutzern ermöglichen. Diese Innovationen sind beim mobilen Fernsehen zumindest in dieser Phase der Entwicklung ausgeblieben.
Nutzerstudie Mobile TV als UMTS- Dienst (2004-2005):
Ziel der Untersuchung war die Frage, wie „Mobile TV“ von den Nutzern bewertet wird und welche konkreten Anforderungen sich
hieraus für die Gestaltung von „Mobile TV“ ergeben. Dabei stand die Exploration der folgenden Fragen im Vordergrund:
- In welchen Situationen wird auf dem Handy ferngesehen?
- Welche Bedeutung erlangt mobiles Fernsehen in diesen Situationen?
- Welche Erwartungen bestehen bei den Anwendern bezüglich der Fernsehinhalte und ihrer Auslieferung?
- Welche Erwartungen bestehen bei den Anwendern bezüglich der technischen Merkmale des Endgerätes?
Zielgruppe der Studie waren aufgeschlossene, technik- und entertainmentaffine Jugendliche und junge Erwachsene (16-35 Jahre).
Insgesamt wurden 71 Personen befragt (36 Männer, 35 Frauen).
Die Studie wurde mit Hilfe qualitativer Forschungsmethoden durchgeführt.
Um „Mobile-TV“ unter Alltagsbedingungen testen zu können, wurden die Teilnehmer für 4-14 Tage mit einem Mobiltelefon und einer Flatrate für UMTS-Dienste ausgestattet.
- Fokusgruppendiskussionen: Im Anschluss an den Test nahmen alle Teilnehmer an Fokusgruppendiskussionen (Teilnehmerzahl 4-6 Personen) teil.
- Fragebögen: Zur Exploration individueller Einstellungen beantwortete jeder Teilnehmer zwei Fragebogen jeweils vor und nach der Testphase.
- Teilnehmende Beobachtung: Einige Teilnehmer wurden im Nutzungszeitraum beim mobilen Fernsehen in bestimmten Situationen beobachtet und im Anschluss zu spezifischen Nutzungsformen befragt