Neue Formen des Wissenschaftlichen Publizierens
Wissenschaftliches Publizieren
Projektteam:
Prof. Dr. Volker Wittke, Dipl.-Sozw. Heidemarie Hanekop
Mit dem Internet eröffnen sich neue Möglichkeiten wissenschaftlichen Publizierens, die zunehmend als Alternative zu Fachzeitschriften und -verlagen diskutiert werden. Das Projekt untersucht die Funktionsweise, Voraussetzungen und Implikationen dieser neuen Formen für das Wissenschaftssystem. Die Ausgangsthese ist, dass die Ausbreitung der neuen Formen des wissenschaftlichen Publizierens und die Reichweite hiervon ausgelösten Veränderungen auch davon abhängen werden, ob es zur Herausbildung alternativer Institutionen kommt, welche die für das Wissenschaftssystem zentrale Funktion der Selektion und Qualitiätssicherung übernehmen.
Das bisherige System des wissenschaftlichen Publizierens basiert auf einer historisch gewachsenen Verflechtung von öffentlich finanzierter Wissenschaft und kommerziell tätigen Verlagen. Damit wird das System wissenschaftlichen Publizierens einerseits durch Normen und Regeln des Wissenschaftssystems gesteuert, andererseits durch die Prinzipien ökonomischer Verwertung.
Die Normen und Regeln des Wissenschaftssystems zielen darauf ab, dass neue Erkenntnisse schnell verbreitet werden. Die Produktion wissenschaftlichen Wissens ist ein kollektiver Prozess und die rasche Publikation neuer Erkenntnisse ermöglicht, dass andere Wissenschaftler an diese Erkenntnisse anknüpfen können. Konstitutiv ist daher gerade nicht private Aneignung und Verwertung neuen Wissens, sondern dessen uneigennützige Weitergabe innerhalb der Scientific Community. Erst wenn der Wissenschaftler seine neuen Erkenntnisse durch Publikation aus der Hand gegeben hat, kann er dafür im Wissenschaftssystem eine Belohnung in Form von Reputation erwarten. Reputation ist der Steuerungsmechanismus, nach dem im Wissenschaftssystem Ressourcen, Status und Berufschancen verteilt werden. Reputation basiert wesentlich auf Publikationen, diese sind damit Teil des Steuerungsmechanismus im Wissenschaftssystem. Publikationen erfüllen für die Wissenschaft vier unterschiedliche Funktionen: die sichern die rasche Verbreitung des neuen Wissens, stellen die Urheberschaft des Wissenschaftlers und die wissenschaftliche Qualität der Ergebnisse fest und sie dienen dem Erhalt und der Archivierung des vorhandenen Wissens.
Innerhalb des Wissenschaftssystems wird neues Wissen als öffentliches Gut produziert. Auf der anderen Seite ist die Distribution dieses neuen Wissens in Form Beiträgen in wissenschaftlichen Zeitschriften, Sammelbänden oder Büchern aber traditionell eine Aufgabe von Verlagen, die kommerziellen Interessen folgen. Entsprechend folgt die Organisation der Herstellung und des Vertriebs wissenschaftlicher Publikationen ebenso Prinzipien ökonomischer Verwertung wie andere Bereiche der Medienbranche auch. Für das System wissenschaftlichen Publizierens bedeutet dies: Neues wissenschaftliches Wissen verwandelt sich im Prozess des Publizierens von einem öffentlichen Gut in eine Ware, die von der Wissenschaft als Nachfrager auf dem Markt erworben werden muss (Kommodifizierung). Diese eigentlich konträren Steuerungsmechanismen waren in der Vergangenheit vereinbar, weil und solange durch diese Form der Aufgabenteilung die Erfüllung der Funktionen wissenschaftlicher Publikationen aus der Perspektive des Wissenschaftssystems gewährleistet wurde. Für die Vereinbarkeit hatten die Bibliotheken ein Schlüsselrolle, denn sie haben als institutionelle Nachfrager stellvertretend für die Wissenschaft die Publikationen von den Verlagen gekauft, um den Wissenschaftlern den für diese unerlässlichen freien Zugang zu den neuesten Erkenntnissen ihrer KollegInnen zu sichern. Anders gesagt: Bibliotheken sicherten die für die Funktionsweise des Wissenschaftssystems fundamentale De-Kommodifizierung wissenschaftlichen Wissens.
Im letzten Jahrzehnt sind die Spannungen zwischen den großen kommerziellen Verlagen und der Wissenschaft, insbesondere aber zwischen Verlagen und Bibliotheken gewachsen. Überproportionale Preissteigerungsraten wissenschaftlicher Journale, insbesondere in dem Science-Technology-Medicine (STM)-Bereichen drohen die Etats der Bibliotheken zu sprengen. Dieser Prozess konnte durch Digitalisierung und Internet nicht gestoppt werden, im Gegenteil, aus der Sicht der Bibliotheken hat er sich eher verschärft. Der Zugang der Wissenschaftler zu aktuellen wissenschaftlichen Publikationen droht sich zunehmend zu verschlechtern - trotz der neuen Möglichkeiten durch das Internet. Die Open Access Bewegung kann als eine Reaktion innerhalb der Wissenschaft verstanden werden, mit der Teile derselben auf diese Entwicklung reagieren.
Wissenschaftlerbefragung
Mit dem Internet bieten sich neue Möglichkeiten für die wissenschaftliche Kommunikation. Wissenschaftliche Publikationen (Aufsätze, Sammelbände oder Monografien) werden heute nahezu ausschließlich in digitaler Form erstellt. Hieraus ergeben sich potentiell vereinfachte Verbreitungs- und Zugangswege, sowie Kostenfaktoren für Druck und Verbreitung können drastisch reduziert werden. Gleichzeitig jedoch sind die Preise für wichtige Journale stark gestiegen. Dies belastet die Budgets der Bibliotheken und erschwert die Versorgung der Wissenschaftler mit dem für ihre Arbeit unerläßlichen, uneingeschränkten Zugang zu den Publikationen ihrer FachkollegInnen. Diese Situation hat wachsenden Widerstand der Wissenschaft dagegen hervorgerufen, ihren eigenen Output gleichsam von den kommerziellen Verlagen „zurückkaufen“ zu müssen. Nicht zuletzt als Reaktion auf diese Situation hat die Forderung nach Open Access, d.h. nach freiem Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen im Internet an Bedeutung gewonnen.
Um diese Veränderungen aus der Perspektive von Wissenschaftlern als Autoren und Leser zu untersuchen, hat das SOFI zwischen Juli und November 2007 eine Befragung unter WissenschaftlerInnen in Bielefeld, Göttingen, Stuttgart und Karlsruhe durchgeführt. Das Grundsample bestand aus insgesamt 6.400 WissenschaftlerInnen an diesen Standorten, eingeschlossen waren (fast alle) Fachgebiete der Universitäten, die ortsansässigen MPIs, Fraunhofer-Institute und andere außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Um wissenschaftliche Autoren zu erreichen, haben wir an den ausgewählten Instituten habilitierten und promovierten Wissenschaftler einbezogen, von jüngeren WissenschaftlerInnen etwa ein Drittel. Geantwortet haben 1.800 WissenschaftlerInnen. Damit haben wir eine durchschnittliche Rücklaufquote von 28% erzielt. Ein Viertel der Befragten sind ProfessorInnen oder PrivatdozentInnen, knapp 40% erfahrene (in der Regel promovierte) Wissenschaftler und 35% sind junge WissenschaftlerInnen. Im Design der Befragung wurde systematisch zwischen dem Rezeptionsverhalten (Leser) und dem Publikationsverhalten (Autoren) unterschieden. Denn – so unsere Ausgangsüberlegung - für Wissenschaftler in der Rolle als Leser stehen andere Funktionen von Publikationen im Zentrum (Rechercheaufwand, einfache und schnelle Zugänglichkeit, Archivierung) als für Autoren (Verbreitung, Urheberschaft, wissenschaftliche Anerkennung und Leistungsbewertung)
Fragebogen
Veröffentlichungen und Vorträge (Download der Publikationen):
Hanekop, Heidemarie; Wittke, Volker (2008): Befragungsergebnisse: Wissenschaftliche Publikationen im Internet. Mitteilungen aus dem SOFI, Dezember 2007, 1. Jahrgang. Ausgabe 2, S. 5
Hanekop, Heidemarie; Wittke, Volker (2007): Der Einfluss des Internets auf die Rekonfiguration des Systems wissenschaftlichen Publizierens. In: Ulrich Dolata, Raymund Werle (Hrsg.): Gesellschaft und die Macht der Technik: Sozioökonomischer und institutioneller Wandel durch Technisierung, S 201 - 220. Schriften aus dem Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Bd. 58; Campus, Frankfurt a. M.
Hanekop, Heidemarie; Wittke, Volker (2006): Das wissenschaftliche Journal und seine möglichen Alternativen - zur Veränderung wissenschaftlicher Publikationsplattformen. Göttinger Schriften zur Internetforschung. Band 1; Universitätsverlag Göttingen