Ergebnisse der Befragung von Wissenschaftlern über ihre Publikations- und Rezeptionsstrategien im Spannungsfeld zwischen dem Wunsch nach freiem Zugang und den Institutionen der Reputationsvermittlung
Ergebnisse der Befragung von Wissenschaftlern über ihre Publikations- und Rezeptionsstrategien im Spannungsfeld zwischen dem Wunsch nach freiem Zugang und den Institutionen der Reputationsvermittlung
Für das Design der Befragung waren zwei Zwischenbefunde (aus 1. und 2.) wichtig: Erstens stehen für Wissenschaftler in der Rolle als Leser vermutlich andere Funktionen von Publikationen im Zentrum (Verbreitung, Archivierung) als für Autoren (Urheberschaft, Reputationserwerb). Zweitens unterscheiden sich die Publikationsformen in den wissenschaftlichen Disziplinen nicht nur herkömmlich, sondern vermutlich bilden sich auch unterschiedliche internetbasierte Plattformen in den Disziplinen heraus. Wir haben daher bei der Konzeption des Fragebogens systematisch Rezeptions- und Publikationsverhalten unterschieden; und wir haben ein nach Fachdisziplinen quotiertes Sample gezogen, um einzelne Fachdisziplinen auswerten zu können. An der Befragung beteiligten sich zwischen Juni und November 2007 1.800 Wissenschaftler der Universitäten, MPI, Fraunhofer-Institute und außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Bielefeld, Göttingen, Stuttgart und Karlsruhe (Rücklaufquote 35%). Ein Viertel sind ProfessorInnen oder PrivatdozentInnen, knapp 40% sind erfahrene (d.h. in der Regel promovierte) WissenschaftlerInnen und 35% sind junge WissenschaftlerInnen.
Die Ergebnisse zeigen überraschend eindeutig, dass der Übergang von Print-auf Online-Publikationsformen bereits weit fortgeschritten ist. Gerade auch die etablierten und damit etwas älteren Wissenschaftler nutzen internetbasierte Plattformen intensiv. Dies korrespondiert mit eine überwiegend positiven Einstellung zu Open Access (60% finden Open Access sehr gut, in den Lebenswissenschaften sogar 77%). Bestätigt hat sich auch die „Entkopplungs- und Diversifizierungsthese“, d.h. es werden von den Wissenschaftlern alle die oben beschriebenen Möglichkeiten für die Suche, den Zugang und die Veröffentlichung differenziert und höchst pragmatisch je nach Bedarf eingesetzt.
Beim Rezeptionsverhalten unterscheiden wir zwischen gezielter Suche, „sich im eigenen Fachgebiet auf dem Laufenden halten“ und dem Zugang zum Volltext. Bei der gezielten Suche werden von fast der Hälfte der WissenschaftlerInnen allgemeine Suchmaschinen (i.d.R.) bevorzugt (44%), etwas weniger (37%) bevorzugen den Online-Bibliothekskatalog. Nur in Ausnahmefällen wird konventionell in Regalen und Archiven gesucht (4%). Dabei sind die Unterschiede zwischen den Fachdisziplinen sehr groß. So dominieren in den Lebenswissenschaften fachspezifische Suchportale (80%); in der Informatik, Mathematik und Physik sucht man bevorzugt mittels google (55%) oder in fachspezifischen Datenbanken. In den stärker monographieorientierten Geisteswissenschaften spielen Bibliothekskataloge eine dominante Rolle. In den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften liegen Bibliothekskataloge und google gleichauf. Wenn es allerdings darum geht, „sich im eigenen Forschungsfeld kontinuierlich auf dem Laufenden zu halten“ haben die Onlineversionen der im Forschungsfeld relevanten Journale (57%) eindeutige Priorität, gefolgt von der Nutzung fachspezifischer Onlinedatenbanken und Onlineportale (31%). In den monografieorientierten Disziplinen sind hier Bücher die wichtigste Quelle (80% bei den HistorikerInnen). Auch der Zugriff auf die Volltexte geschieht mehrheitlich über Online-Versionen von Journalen. Fast die Hälfte der Befragten beklagen allerdings, dass sie häufig wegen fehlende Lizenzen keinen Online-Zugang zum (Voll-) Text erhalten. In den Lebenswissenschaften sind dies sogar mehr als zwei Drittel. Knapp 30% der WissenschaftlerInnen greifen über eine Open Access Plattform auf die Volltexte im Internet zu, darunter 19% bei OA-Journalen und 12% auf OA-Archive, 11% über Homepages der Autoren. Dies zeigt, wie wichtig Open Access bereits für den Zugang zu Zeitschriftenaufsätzen ist.
In der Publikationsstrategie der WissenschaftlerInnen stehen renommierte Journale und Verlage weiterhin im Mittelpunkt. Allerdings spielen auch Open Access Publikationen bei der Hälfte der von uns befragen WissenschaftlerInnen insofern ein Rolle, als sie zumindest einige Veröffentlichungen frei im Internet zugänglich machen; 10% planen dies für die unmittelbare Zukunft; 40% stellen Veröffentlichungen auf ihrer Homepage oder der ihres Instituts zur Verfügung, allerdings sind nur bei 20% auch ihre wichtigsten Publikationen online. Lediglich in den Disziplinen, in denen Pre- und Postprints üblich sind (Informatik, Mathematik oder Physik), werden mehrheitlich auch wichtige Veröffentlichungen frei zugänglich gemacht. Bei den Kriterien, nach denen WissenschaftlerInnen ihre Publikationsentscheidungen treffen, spielt die Frage des freien Zugangs im Internet bisher nur eine untergeordnete Rolle.
Die Publikationsstrategie orientiert sich neben der internationalen Verbreitung und der thematischen Ausrichtung überwiegend an den Kriterien, nach denen wissenschaftliche Anerkennung verteilt wird; also vor allem am Renommee des Journals bzw. an dessen Impactfaktor. Allerdings sind auch hier die Unterschiede zwischen den Disziplinen groß. Impactfaktoren spielen in vielen Disziplinen überhaupt keine Rolle, lediglich in den Lebenswissenschaften und in der Physik sind sie relevant. In den technischen Disziplinen hingegen stehen Tagungsbeiträge und Proceedings im Vordergrund. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Open Access Publikationsformen in den Publikationsstrategien ein zwar zunehmender, bislang aber nach wie vor begrenzter Stellenwert zukommt. Dies steht im Kontrast zur ungleichen größeren Bedeutung, den die Internet-Suche und der Online-Zugriff auf wissenschaftliche Publikationen für die Rezeption wissenschaftlicher Literatur mittlerweile spielen.
Unsere Befunde zeigen, dass sich die disziplinspezifischen Unterschiede zwischen Publikationskulturen auch in der Art der Internetnutzung niederschlagen. Unterschiede zwischen Publikationskulturen bestehen nicht nur darin, dass sich ein Teil der Disziplinen vorwiegend auf Journale, ein anderer demgegenüber auf Monografien stützt. Vielmehr zeichnen sich Publikationskulturen auch durch ein Wechselspiel zwischen disziplinspezifischen Formen der Nutzung der neuen Möglichkeiten zur Suche nach und dem Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen einerseits und darauf abgestimmten disziplinspezifischen Publikationsstrategien andererseits aus. So wird z.B. in den Lebenswissenschaften mit großer Mehrheit in fachspezifische Datenbanken (v.a. Pubmed) recherchiert; entsprechend konzentrieren sich Open Access Publikationen auf einige wichtige Open Access Journale (PLOS, BMC). Für die weitere Entwicklung der Open Access Plattformen wie der internetbasierten Rezeptions- und Publikationsangebote insgesamt sind solche disziplinspezifischen Rezeptions- und Publikationsmuster von großer Bedeutung. (Ein ausführlicher Bericht über die Ergebnisse der Wissenschaftlerbefragung wird als Working Paper des SOFI veröffentlicht)