Steuergestaltung als Profession
Projektinhalt
Das Projekt untersucht, wie Professionelle im Bereich der Steuergestaltung in Deutschland ihre Tätigkeit normativ rechtfertigen. Steuergestaltung wurde schwerpunktmäßig unter juristischen, technischen, ökonomischen und regulationsbezogenen Perspektiven diskutiert. Die Rolle relevanter AkteurInnen – der Professionellen – wurde nur fragmentarisch, insbesondere bezogen auf den angelsächsischen Raum untersucht. Nicht ausreichend geklärt ist, warum die Professionellen zugleich einen hohen Status und mit Professionen verbundene Vorteile genießen, andererseits aber in der Öffentlichkeit kritisierte Tätigkeiten in einer rechtlichen Grauzone ausführen. Nach der Professionssoziologie haben Professionen einen ‘dualen Charakter’: sie tragen einerseits zum Gemeinwohl bei, indem sie ihr Handeln an gesellschaftlichen Zentralwerten (z.B. Rechtsstaatlichkeit) ausrichten und greifen im Gegenzug auf gesetzliche Rahmenbedingungen zurück, die Wettbewerb beschränken und die Einhaltung professioneller Standards ermöglichen. Der Status einer Profession befindet sich in einem dynamischen Aushandlungsprozess, in dem Professionelle ihre Legitimation in Krisenmomenten beweisen müssen. Wie legitimieren sie sich in einer Situation, die zugleich charakterisiert ist von Tendenzen der Transnationalisierung der Steuerplanung, sowie einer stärkeren Kritik an den Konsequenzen?
Das Projekt soll diese Verständnislücke schließen. In der Anfangsphase sollen auf Grundlage vorhandener Literatur und von Experteninterviews (Experten aus Wissenschaft, Verbänden, NGOs, Behörden) Kenntnisse über das Feld erhoben werden: Welche Arten von Professionellen und Organisationen sind in der Steuergestaltung aktiv? Welche Tätigkeiten führen sie aus? Es soll ein Überblick über den institutionell-rechtlichen und den kognitiven Rahmen der Professionellen (Ausbildung und theoretisch-ideologische Hintergründe) erstellt werden. Der Kern des Projekts besteht aus rund 40 qualitativen Interviews mit verschiedenen Typen von Professionellen, und zwar aus Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Anwaltskanzleien, Steuerabteilungen von Unternehmen, Steuerberatungen und Banken. Die Professionellen sollen befragt werden zu ihrer Einschätzung und ihrem Umgang mit Grenzfällen, ihrem Selbstverständnis als Professionelle und ihren Vorstellungen von Steuern. Die Interviews sollen zeigen, wie Professionelle mit Ambivalenzen umgehen, ihre Tätigkeit normativ rechtfertigen, wie sich verschiedene Typen von Professionellen sehen, welche Professionsbegriffe und Wertebezüge sich aus dieser Innenperspektive ergeben und welche Theorien zur Rolle von Steuern sie vertreten. In welcher Weise wird der mit Selbstlegitimation verbundene Professionsbegriff von Tätigen in einer Situation ausgedeutet, in der sich sowohl Praktiken der Steuergestaltung, als auch der ‘Steuerstaat’ in einer Legitimationskrise befinden, bzw. – abstrakter ausgedrückt – in einer Situation, in der Rechtfertigungen brüchig werden und durch andere ersetzt werden können?