Werkstattgespräch


„Sozioökonomische Entwicklung in Deutschland: Kontinuität, Wandel, Umbruch?“

Der Verbund soeb reflektierte seine Forschungsergebnisse vor dem Hintergrund einer ‚großen Erzählung‘ vom gesellschaftlichen Wandel, die häufig als Umbruchsthese bezeichnet worden ist. Der Umbruch bezeichnet die Ablösung des Fordismus als spezifische sozioökonomische Formation. Während letzterer die 1950er- und 1960er-Jahre prägte, hielten in den 1970er-Jahren neue Produktions- und Lebensweisen Einzug: Industrielle Massenproduktion verlor gegenüber individualisierten Gütern und Dienstleistungen an Gewicht, der durch Tarifpartnerschaft koordinierte Arbeitsmarkt wurde mehr und mehr Schauplatz parzellierter Aushandlungsprozesse, Löhne stiegen nicht mehr parallel zur Produktivität, das Normalarbeitsverhältnis bekam Konkurrenz durch verschiedene Formen atypischer Beschäftigung, und das Ernährermodell war nurmehr eines unter mehreren alternativen Verdienermodellen der Haushalte.

Auch in aktuellen, vielbeachteten Debatten außerhalb des Verbunds werden die ‚goldenen Nachkriegsjahrzehnte‘ als Kontrastfolie zum status quo gewählt: Bei Streeck (2013) stehen sie für ein Zeitalter des ‚Demokratischen Kapitalismus‘, bei Piketty (2014) für den einzigen historischen Zeitraum in der Geschichte, in dem eine breite Bevölkerungs(mittel)schicht Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand erreichte. So dient diese Phase häufig als historische Referenzfolie, um aktuelle Entwicklungen zu kontrastieren, kenntlich zu machen und zu bewerten. In verklärenden Bezeichnungen wie ‚golden‘ oder ‚glorreich‘ ist sie nicht nur empirischer, sondern ebenso normativer Bezugspunkt: Die Nachkriegszeit wird aus heutiger Perspektive als Zeit des sozialen Fortschritts, einer breite Bevölkerungsmassen erreichende Verbesserung der Lebensbedingungen wahrgenommen.

Das dritte Werkstattgespräch des Verbunds soeb 3 diskutierte aus aktueller Perspektive, ob die Umbruchsthese geeignet ist, die empirischen Befunde aus der Arbeit des Verbunds in ihren historischen Kontext zu stellen: Wird der Umbruch in Analysen des Verbunds sichtbar? Wenn ja, in welcher Geschwindigkeit vollzieht er sich, und ist ein Ende der Erosion des Fordismus in Sicht? Wenn ja, in welches neue sozioökonomische Modell mündete der Wandel, und wie viel vom Fordismus bleibt in ihm bestehen? Ist die Phasenunterscheidung zwischen Fordismus und Post-Fordismus überzeugend? Geschieht der Wandel uniform oder in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen zeitversetzt? Welche Gegenbewegungen gibt es? Lassen sich klare Trends des Wandels, z.B. Liberalisierung, ausmachen, oder ist die Entwicklung je nach Bereich in Wirtschaft und Gesellschaft unterschiedlich?

Beiträge:

  • Rainer Land: Ostdeutschland - Fragmentierte Entwicklung: [PDF]
  • Thomas Hanf: Integrationsdefizite und Handlungsorientierungen: [PDF]
  • Ulrich Busch: Transfergesellschaft Ostdeutschland: [PDF]
  • Joachim Ragnitz: Transfergesellschaft Ostdeutschland (Koreferat): [PDF]
  • Klaus-Peter Buss: Fragmentierung - eine richtige Perspektive?: [PDF]
  • Holger Alda: Sekundäre Arbeitsmarktintegration: [PDF]
  • Friedrich Hauss: Risikolagen im ländlichen Raum: [PDF]
  • Christine Steiner: Demografie und Erwerbseintritt der Jüngeren: [PDF]