Sozioökonomische Teilhabebedingungen


Dieser Berichtsteil umfasst drei Arbeitspakete und wird von der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung mbH (GWS) in Osnabrück verantwortlich koordiniert. Gegenstand ist das gesamtwirtschaftliche Entwicklungsmodell mit seiner institutionellen Ordnung. Das deutsche Produktions- und Sozialmodell wurde in soeb 2 als ein historisch bestimmtes Regime wirtschaftlicher Entwicklung bezeichnet, dessen Aufstieg und Niedergang allen entwickelten kapitalistischen Industrieländern gemeinsam war und dessen Umbruch (etwa die Entkopplung von Produktivitäts- und Lohnentwicklung oder von Realzins und Wirtschaftsleistung) zugleich durch die spezifischen Gegebenheiten der deutschen („rheinischen“) Kapitalismusvariante geprägt wird. Der Arbeitstitel der Abteilung greift dieses Deutungsmuster auf. Die Arbeit der Abteilung soll zu der Frage beitragen, wie nachhaltig das deutsche Entwicklungsmodell ist, welche neuen Strukturen sich im Umbruch abzeichnen und welche gesamtwirtschaftlichen Ressourcen für individuelle Teilhabe zur Verfügung stehen. Die Untersuchung berücksichtigt dabei die europäische und weltwirtschaftliche Verflechtung der exportorientierten deutschen Wirtschaft, Branchenstruktureffekte und Effekte ungleicher Einkommensverteilungen und materieller Lebensstandards sowie die Entwicklung von Ressourceneffizienz und anderen Nachhaltigkeitsindikatoren.

Eine durch Zeitreihen ab 1991 empirisch gestützte makroökonometrische Modellierung der sozioökonomischen Entwicklung ermöglicht die Projektion insbesondere der demografisch und sozioökonomisch bestimmten Angebots- und Nachfragerelationen am Arbeitsmarkt, der ökologischen Nachhaltigkeitsindikatoren und der regionalen Disparitäten bis 2030 (Kapitel 4. Hinweis zur Navigation: Kapitel können über das Menü oben einzeln angesteuert werden). Mikrodaten, die aus Analysen in anderen Berichtsabteilungen gewonnen werden, sollen hier für mikrofundierte alternative Entwicklungsszenarien genutzt werden. Die beiden weiteren Arbeitspakete der Berichtsabteilung 1 widmen sich der Funktionsweise des Kapitalmarkts, die bereits in soeb 2 einen eigenständigen Platz bei der Beobachtung des Umbruchs im deutschen Produktionsmodell beanspruchte. Aus dem aktuellem Anlass der Banken- und Finanzmarktkrise wird erstmals versucht, ein System wissenschaftsgetragener, indikatorengestützter Dauerbeobachtung des Finanzsystems (Kapitel 5) und der Unternehmensfinanzierung (Kapitel 6) umzusetzen.

Kapitel 04

Gesamtwirtschaftliche Entwicklung 1991 bis 2030

Die wirtschaftliche Situation in Deutschland hat sich seit der Finanzkrise verbessert

Thomas Drosdowski, Anke Mönnig, Britta Stöver, Philip Ulrich, Marc Ingo Wolter, Michael Kalinowski und Carsten Hänisch

Die Autor/inn/en kommen durch ihre Analysen zu der Kernbotschaft, dass die wirtschaftliche Situation sich in Deutschland seit der Wirtschafts- und Finanzkrise stark verbessert hat und auch künftig weiterhin gut bleiben wird.

Weiterhin wird sich die Erwebsneigung der Bevölkerung aufgrund der Alterung zurückentwickeln und der Anteil der Dienstleistungen am Konsum steigen. Weiterhin ist unter den Bundesländern ein langsamer, aber gleichmäßiger Konvergenzprozess zu beobachten und zu erwarten. Werden die sozioökonomischen Indikatoren zum Teilhabebedingungsindex (TBI) zusammengefasst, zeigt sich für dienächsten fünf Jahre eine Verbesserung der aktuellen Situation. Nach 2025 nehmen die Zuwachsraten des Index langsam ab, bleiben aberimmer noch über dem Niveau der 2000er Jahre.

Arbeitspaket 1: Gesamtwirtschaftliche Entwicklung bis 2030 und Szenarien

Die Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung mbH (GWS) in Osnabrück und das Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT) in Sankt Augustin bearbeiten das AP 1 „Gesamtwirtschaftliche Entwicklung bis 2030 und Szenarien“. Es analysiert die gesamtwirtschaftliche Entwicklung Deutschlands im Rahmen des Weltmarkts sowie die Entwicklung von Bevölkerung und Arbeitsmarkt nach soziodemografischen Haushaltsgruppen und anderen Merkmalen. Im deskriptiven Teil wird für einen 1991 beginnenden Stützzeitraum die Entwicklung makroökonomischer Indikatoren dargestellt. Diese Daten bilden die Grundlage für die Modellierung eines Basisszenarios der Entwicklung bis 2030. Das komplexe, empirisch gestützte Strukturmodell der GWS, das bereits in soeb 2 genutzt wurde, beschreibt für alle anderen Arbeitspakete des Berichts die gesamtwirtschaftlichen Ressourcen für Wohlfahrtsproduktion und individuelle Verwirklichungschancen. Als konsistenter Orientierungsrahmen ermöglicht es zugleich Sensitivitätsanalysen (Alternativszenarien) zu den aggregierten, gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen veränderter gesellschaftlicher Teilhabemuster. Diese im Verbund zu definierenden Alternativszenarien der sozioökonomischen Entwicklung, in die Ergebnisse und Problemstellungen verschiedener Arbeitspakete als Parameter eingeführt werden können, schlagen eine Brücke zwischen Mikro- und Makroanalysen.

Aus soeb 2 werden Kennzahlen des Kapitels „Teilhabekapitalismus“ fortgeschrieben und die Analysen regionaler Disparitäten auf Kreisebene vorgenommen. Die Modellierung der Angebots- und Nachfragerelationen am Arbeitsmarkt, die u.a. auch von der Autorengruppe Bildungsberichterstattung verwendet wurde, wird gegenüber soeb 2 weiter ausdifferenziert und erlaubt eine differenzierte Berücksichtigung von Mustern der Erwerbsbeteiligung auf der Angebotsseite sowie betrieblicher Personalstrategien auf der Nachfrageseite nach Qualifikationen und Berufsgruppen. Einen neuen Schwerpunkt bilden Nachhaltigkeitsindikatoren: Für etablierte Indikatorensysteme, etwa die der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie, werden zukünftige Werte als Modellergebnis berechnet. Zugleich wird angestrebt, diese um geeignete sozioökonomische Nachhaltigkeitsindikatoren zu erweitern. Drittens werden Aussagen über die regional unterschiedliche demografische und wirtschaftsstrukturelle Entwicklung auf Ebene der Länder, Raumtypen bzw. Kreise und kreisfreien Städte angestrebt.

  • Poster Kapitel 4: Gesamtwirtschaftliche Entwicklung 1991 bis 2030. [PDF]
  • Drosdowski, Thomas/ Stöver, Britta/ Thobe, Ines (2016): Wirkungen eines ökologisch nachhaltigeren Konsums: Ergebnisse einer Szenarioanalyse. soeb-Working-Paper 2016-3. [PDF]
  • Wolter, Marc Ingo/ Mönnig, Anke (2016): Die Nachhaltigkeit deutscher Exporte – Eine makroökonomische Analyse der deutschen Außenhandelsbeziehungen. soeb-Working-Paper 2016-1. [PDF]
  • Drosdowski,Thomas/ Lehweß-Litzmann, René/ Stöver, Britta/ Wolter, Marc Ingo: Bedingungen für Teilhabe: Zur indikatorbasierten Messung eines gesellschaftlichen Potenzials. soeb-Working-Paper 2015-4. [PDF]
  • Stöver, Britta/ Szlachetka, Remigius/ Ulrich, Philip/ Wolter, Marc Ingo (2015): Die Pflegewirtschaft im Kontext demografischer Entwicklungen. soeb-Working-Paper 2015-2. [PDF]
  • Wolter, Marc Ingo/ Ulrich, Philip (2015): LÄNDER-Modell-Erweiterung Fläche 2014. soeb-Working-Paper 2015-1. [PDF]
  • Drosdowski, Thomas/ Stöver, Britta/ Ulrich, Philip/ Wolter, Marc Ingo (2014): Sozioökonomische Modellierung (soem) und Sozioökonomische Berichterstattung (soeb) – Abgrenzung und Zielsetzungen der soem. soeb-Working-Paper 2014-4. [PDF]
  • Drosdowski, Thomas/ Stöver, Britta/ Wolter, Marc Ingo (2015): Does Ageing Cause More Inequality?” Vortrag im Rahmen der 12th Conference of the European Sociological Association 2015 am 25.-28.08. in Prag. [PDF]
  • Drosdowski, Thomas/ Stöver, Britta/ Wolter, Marc Ingo (2014): Der Konsumbegriff in der VGR und Umsetzung in der Modellierung. Vortrag im Rahmen des Werkstattgesprächs „Konsum und Nachhaltigkeit in der Sozioökonomischen Berichterstattung“ am 2./3. Juni 2014. [PDF]

Kapitel 05

Risikoverlagerung nach der Finanzkrise

Marcel Tyrell und David Zimmermann

Die Autoren kommen durch ihre Analysen zu der Kernbotschaft, dass Unternehmen sich zunehmend durch interne Mittel finanzieren was zu einer Entschuldung dieses Sektors führt.

Das Kapitel untersucht die veränderte gesamtwirtschaftliche Risikoverteilung in Deutschland nach der Finanzkrise von 2007. Neben der gestiegenen Finanzierung durch interne Mittel lässt sich beobachten, dass private Haushalte ihre Anlagen von Banken hin zu Nichtbankfinanzintermediären und Versicherungen umschichten. Bei vermögenden Haushalten zeigt sich ein Anstieg vom Aktien- und Anleihenanteil was die sozialen Ungleichheit beeinflusst. Bei vermögensschwachen Haushalten wird hingegen eine Risikozunahme im Bereich Immobilienkrediten aufgezeigt.

Weiterhin warnen die Autoren vor zunehmenden Ansteckungseffekten in den internationalen Finanzmärkten, durch eine Verlängerung der Finanzintermediationsketten.

Arbeitspaket 2: Umbrüche der Finanzstruktur und sozioökonomische Entwicklung

Ausgangspunkt von AP 2 „Umbrüche der Finanzstruktur und sozioökonomische Entwicklung Zeppelin Universität Friedrichshafen ist die Erfahrung der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise, dass Entwicklungen im Finanzsektor die Handlungsbedingungen aller anderen Akteure der Wohlfahrtsproduktion kurzfristig grundlegend verändern können. Daher sollen auf den drei Berichtsebenen Indikatoren entwickelt werden, die Gefährdungspotenziale im Finanzsystem und deren mögliche Folgen für Teilhabechancen und für unternehmerisches Handeln in der sog. „Realwirtschaft“ anzeigen. Das Indikatorenprogramm, das auf Vorarbeiten aus einem DFG-Schwer­punktprogramm zurückgreift, berücksichtigt das Anlageverhalten der privaten Haushalte, die Finanzierungsstrukturen der Unternehmen, Entwicklungen im Finanzsektor selbst (z.B. Liquiditätsindikatoren, Intermediations- und Verbriefungsraten) und die finanzielle Stabilität der Volkswirtschaft (z.B. Strukturveränderungen in den Kapitalströmen). Konzeptionell liegt dem Arbeitspaket die Vorstellung von Finanzmärkten als eines Systems zugrunde, in dem sich Einzelelemente (z.B. Finanzierungsstrukturen und Corporate Governance) komplementär verhalten und nicht beliebig kombiniert werden können. Daher sollen Finanzsysteme in verschiedenen Ländern nach ihrer Funktionslogik verglichen werden.

  • Poster Kapitel 5: Risikoverlagerung nach der Finanzkrise. [PDF]
  • Webanhang Kapitel 5 [PDF]
  • Tyrell, Marcel: Kommentar/Anknüpfungspunkte von REPOS zu soeb – Berichterstattung zur sozioökonomischen Entwicklung in Deutschland im Rahmen der Tagung „Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise – Deutschland und Griechenland forschen gemeinsam für die Zukunft“, organisiert vom BMBF in Berlin am 25.09.2014. [PDF]

Kapitel 06

Wie viel „Finanzmarktkapitalismus“ gibt es in Deutschland?

Begrenzte Finanzialisierung und Teilhabechancen

Michael Faust und Lukas Thamm

Die Autoren kommen durch ihre Analysen zu der Kernbotschaft, dass Finanzialisierung und Teilhabechancen begrenzt sind: 

In Deutschland gibt es einen sachlich und zeitlich begrenzten Finanzialsierungsschub, dessen Wirkungen durch korrigierende Institutionen wie die Arbeitnehmermitbestimmung modifiziert wird. Die Börsennotierung von Unternehmen ist zwar in den 1990er Jahren gestiegen, stagniert dann aber. Der Anteil börsennotierter Unternehmen mit „geduldigem Kapital“ (Ankerinvestoren) fällt zwar seit 1990, ist aber mit rund 58 Prozent im internationalen Vergleich immer noch hoch. Damit kann dieFinanzialisierung allenfalls teilweise zur Erklärung einer Erosion der Teilhabe und steigender Ungleichheit beitragen.

Arbeitspaket 3: Eigentumsstrukturen im Unternehmenssektor und Corporate Governance

Eines der Elemente des Finanzsystems wird in Arbeitspaket 3 „Eigentumsstrukturen im Unternehmenssektor und Corporate Governance“ durch das Soziologische Forschungsinstitut (SOFI) vertiefend untersucht. Wem die Unternehmen gehören und wer die Unternehmensleitung wie beaufsichtigt, zählt als eines der prägenden Merkmale nationaler Kapitalismusvarianten. Zeitdiagnosen, wonach sich die bankbasierte „Deutschland AG“ im Übergang zu einem „liberalen“, „angelsächsischen“ Modell des „Finanzmarktkapitalismus“ befindet, beruhen auf Annahmen über einen Umbruch in Strukturen, Regeln und Konzepten der Unternehmensaufsicht und Unternehmensführung. Ein zu entwickelndes Indikatorenprogramm zur Dauerbeobachtung der Corporate Governance soll diese Annahmen über eine „Finanzialisierung“ der sogenannten „Realwirtschaft“ überprüfbar machen. Indikatoren sind etwa Anteil und Eigentumsstrukturen börsennotierter Unternehmen, Anzahl und Volumen von „Private-Equity“-Investoren und institutionellen Investoren, Zusammensetzung von Aufsichtsräten, Vorstandsvergütungen, Übernahmeaktivitäten, Ausschüttungen und Aktienrückkäufe. Die Beobachtung stützt sich überwiegend auf statistische Reihen, doch zu exemplarischen Fragestellungen soll auch fallstudienbasierte Empirie des SOFI und anderer Forschungseinrichtungen genutzt werden, um in der Literatur verbreitete Wirkungshypothesen zu überprüfen. Das Arbeitspaket wirft die Frage auf, ob sich der zeitdiagnostische Begriff „Finanzmarktkapitalismus“ überhaupt zur Kennzeichnung ganzer Volkswirtschaften eignet oder ob nicht vielmehr partieller, sektorieller Wandel zu einem Nebeneinander verschiedener Muster von Corporate Governance führt („diversity within capitalism“).

  • Poster Kapitel 6: Wie viel „Finanzmarktkapitalismus“ gibt es in Deutschland? [PDF]
  • Faust, Michael/ Thamm, Lukas (2015): Wie viel „Finanzmarktkapitalismus“ gibt es in Deutschland? Indikatoren der Kontroll-Finanzialisierung von 1990 bis heute. soeb-Working-Paper 2015-5.[PDF]
  • Faust, Michael: „Global Corporate Control“? Über Fallstricke einer Netzwerkanalyse. soeb-Working-Paper 2014-1. [PDF]
  • Faust, Michael: Financial institutions for innovation and development: An introduction to the research program. Vortrag im Rahmen der Konferenz „Financial Institutions for Innovation and Development“ der Ford Foundation, Hans-Böckler-Stiftung und SOFI. 10./11.11.2014, Berlin.[PDF]
  • Faust, Michael: Financial Market Capitalism in Germany – to what extent? Conceptual considerations. Vortrag im Rahmen der Konferenz „Financial Institutions for Innovation and Development“ der Ford Foundation, Hans-Böckler-Stiftung und SOFI. 10./11.11.2014, Berlin.[PDF]
  • Faust, Michael: Policy implications: ideas for a tricky issue. Vortrag im Rahmen der Konferenz „Financial Institutions for Innovation and Development“ der Ford Foundation, Hans-Böckler-Stiftung und SOFI. 10./11.11.2014, Berlin. [PDF]